Im Kern eine Liebesgeschichte - Roman

von: Elizabeth McKenzie

DuMont Buchverlag , 2018

ISBN: 9783832184308 , 480 Seiten

Format: ePUB

Kopierschutz: Wasserzeichen

Mac OSX,Windows PC für alle DRM-fähigen eReader Apple iPad, Android Tablet PC's Apple iPod touch, iPhone und Android Smartphones

Preis: 8,99 EUR

eBook anfordern eBook anfordern

Mehr zum Inhalt

Im Kern eine Liebesgeschichte - Roman


 

1

Lass los!

Im letzten Block der Tasso Street, in einer kalifornischen Stadt namens Palo Alto, standen eng aneinandergeschmiegt zwei schlichte Bungalows, ein jeder umrissen von Lilien. In einem wohnte eine Frau im ranken, grünen Lenz ihres Lebens; ihr Name war Veblen Amundsen-Hovda.

Ein verregneter Wintertag kurz nach Neujahr. Am Ende der Straße scharrte ein Eichhörnchen an der Böschung des San Francisquito Creek im Laub. Es suchte nach diesen bleichen, alten Eicheln, aus denen Regen und Tau die Gerbstoffe herausgeleckt hatten.

Ein Junge und ein Mädchen in schlammigen Gummistiefeln hoben welche auf, bewarfen einander damit und rannten freudig schreiend im Kreis. Veblen wusste, dass Kinder das täglich taten – freudig schreien.

Die Haut des alten Jahrs bekam Risse, schälte sich ab und wurde durch die Kanäle unter den Straßen fortgespült. Bald würde sich das Licht verändern, würde der kurze, milde nordkalifornische Winter sich dem Ende entgegenneigen, hin zu Wärme und Blüte – all das gab normalerweise Anlass zur Erleichterung, und trotzdem war Veblen betrübt, so als steuerte sie geradewegs auf eine Katastrophe zu. Eine persönliche oder eine weltumfassende? Am liebsten hätte sie die Zeit angehalten.

Der Wasserlauf toste und schäumte wie ein Hexenkessel, ein wogendes Chaos aus Brombeergestrüpp und den Trümmern vom letzten Jahr. Veblen sah den Wind die Bäume schütteln, wie er sie zittern ließ und ihr Laub verstreute. Der Bach toste, ganz genau. Ließ sich das Wasser vom Wahnsinn aufwühlen? Die Bäume?

Neben Veblen ging ein vierunddreißigjähriger Mann namens Paul Vreeland, groß, gut gebaut und von Kopf bis Fuß mit Marken versehen – er trug eine anthrazitfarbene Patagonia-Jacke, eine indigoblaue Kordhose von J.Crew und Vans aus braunem Leder mit ein paar Schlammspritzern darauf. Veblen trug unter ihrem Regenmantel selbstgenähte No-name-Klamotten und dazu schwarze Gummistiefel. Sie war eine schlichte, sanfte Erscheinung; ihr Haar hatte die Farbe von Mammutbaumrinde und ihre Augen waren gesprenkelt wie Septemberlaub.

An einer moosbedeckten Böschung, in einem Ring aus Eukalyptus, Eichen und Mammutbäumen, blieben sie stehen, und ein Eichhörnchen schlich sich neugierig an.

»Veb«, sagte der Mann.

»Ja?«

»Ich bin irrsinnig glücklich.«

»Ja?« Sie mochte die Vorstellung, mit jemandem Zeit zu verbringen, der glücklich, irrsinnig glücklich war. »Ich auch.«

»Heute Abend Tacos Tambien?«

»Klar!«

»Ich wusste, dass du Klar sagst.«

»Bei Tacos Tambien sag ich immer Klar

»Das ist gut«, sagte er und drückte sanft ihre Hände. »Wenn man sich einer Sache so sicher ist.«

Sie trat ein Stück näher zu ihm, spürte seine rührende Nervosität.

»Weißt du, was ich mag? Dass du jedes Mal aus dem Zimmer rennst, wenn du das Licht ausgeschaltet hast«, sagte er.

»Du hast das gemerkt?«

»Ja, das ist total süß.«

»Oh!« Es war schön, süß zu sein, wenn man es gar nicht darauf angelegt hatte.

»Und weißt du noch, als du mir den Schatten dieses Kolibris auf der Gardine gezeigt hast?«

»Ja.«

»Das fand ich wunderbar.«

»Ja, er war genau in der Mitte, als wollte er sich selbst rahmen.«

»Und wenn irgendwelche Werbefritzen anrufen und du dann so röchelst, als würdest du erwürgt und gehängt …«

»Das magst du?«

»Das liebe ich.« Er räusperte sich und blickte zu Boden, weniger auf die Erde als vielmehr darauf, ob er fest darauf stand. »Ich bin sehr, sehr verliebt in dich. Willst du meine Frau werden?«

Er zog ein veloursbezogenes Schächtelchen aus der Tasche, das sich knackend einen Spalt öffnete, wie eine Walnuss. Im Inneren schimmerte ein Diamant; wäre er eine Pille gewesen, hätten ihn empfindliche Menschen meiden müssen, so groß war er.

»Oh, sieh mal, Paul! Wir werden von einem Eichhörnchen beobachtet.«

Aber Paul drehte sich nicht einmal um, so als bedeutete es ihm überhaupt nichts, von einem Eichhörnchen beobachtet zu werden.

»Meine Güte«, sagte sie und betrachtete den fremden Stein, nach dem es sie nie verlangt hatte. »Er ist so groß. Meinst du nicht, dass ich ihn irgendwie kaputtmache, ihn ruiniere?«

»Diamanten kann man nicht kaputtmachen.«

»Ich kann ihn nicht ruinieren?«

»Du kannst überhaupt nichts ruinieren. Durch dich wird alles nur wunderbar.«

Sie fühlte sich lebendig, wie ein Baum im Wind. Später würde sie sich daran erinnern, dass sie in diesem Moment etwas durchzuckte wie ein aufleuchtender Glühfaden – das Gefühl, froh zu sein, ihm solches Glück geschenkt zu haben, aber nicht genau zu wissen, was sie selbst empfand.

»Ja?«, fragte der Mann.

Das Eichhörnchen stieß einen schrillen Schrei aus.

»Ist das ein Ja?«, fragte Paul.

Schließlich brachte sie es über die Lippen. Ja. Zwei menschliche Gestalten, zu einer verschmolzen, gingen auf den Bungalow in der Tasso Street zu.

Hinter ihnen stieß das Eichhörnchen weitere schrille Schreie aus, als wollte es sagen, dass es starke Zweifel hegte. Als wollte es sagen (und sie konnte es nicht anders übersetzen): Da bahnt sich eine schreckliche Chemie an.

Dies war die Verlobung von Veblen Amundsen-Hovda, unabhängige Behavioristin, erfahrene Trostspenderin und freie Übersetzerin, die aufgrund einer isolierten Kindheit und diverser darauffolgender Interferenzen eine verspätete Liebesaffäre mit der Welt hatte. Mit dreißig trug sie immer noch am liebsten labbrige Männersachen, von denen sie sich ebenso schwer trennen konnte wie von ihren imaginären Freunden.

Am Abend trippelte das Eichhörnchen unablässig auf dem Dachboden ihres kleinen Hauses umher. Regen prasselte auf das Dach, und ein Orkantief peitschte gegen die hohen Bäume, nach denen die Stadt benannt war. Irgendwann hatte das Eichhörnchen seine Eichel wohl leid und feuerte sie ärgerlich auf den Boden. Paul klopfte von unten an die Decke.

Willst du dich mit mir anlegen? Nur verklemmte Trottel klopfen von unten an Decken.

Das Eichhörnchen hatte seine Mittel und Wege. Es brauchte nur Lass los zu sagen, schon fielen die Blätter. Es war eine verantwortungsvolle Aufgabe, im Herbst all jene Bäume zu besuchen, die es gepflanzt hatte, und mit festem Blick ihre Äste anzusehen. Lass los. Die Bäume wurden kahl. Die Tage kurz und kalt.

An jenem Abend fiel Veblen im Bett seltsam heftig über Paul her, als wollte sie die eigenartige Stimmung, die sie überkommen hatte, umwandeln oder verbergen. Es funktionierte. Als Paul sie später im Arm hielt, flüsterte er: »Weißt du, was ich nie vergessen werde?«

»Was denn?«

»Dass du nicht gesagt hast: ›Ich überlege es mir‹, als ich dich gefragt habe. Du hast einfach Ja gesagt.«

Sie freute sich darüber, etwas richtig gemacht zu haben.

Oben begann ein Virginia Reel aus Kratzen und Poltern, was zu diesem Zeitpunkt ungefähr so passend war wie grummelndes Gedärm unter der Bettdecke.

»Meinst du, das sind Ratten?«, fragte Paul.

»Ich hoffe, Eichhörnchen.«

»Ist dir schon mal aufgefallen, dass diese Stadt regelrecht von Eichhörnchen verseucht ist?«

»Ich würde eher sagen, sie ist reich an Eichhörnchen.«

»Der Regen treibt sie ins Trockene«, sagte Paul und küsste sie.

»Vielleicht feiern sie ja mit uns und springen deshalb freudig herum.«

Er knuffte sie sanft. »Meine Eltern werden hin und weg sein. Sie sagen bestimmt, ich hab dich nicht verdient.«

»Wirklich? Unsinn.«

»Was wird deine Mutter wohl dazu sagen?«, wollte Paul wissen.

»Na ja, dass es schnell ging und dass sie dich kennenlernen muss. Sofort, wenn nicht noch früher.«

»Sollen wir sie anrufen und es ihr sagen?«

»Morgen.«

Obwohl ihre innere Uhr nach dem Neuigkeitenhunger ihrer Mutter gestellt war, fühlte es sich manchmal gut an, sie zu ignorieren.

»Was ist mit deinem Vater?«, fragte Paul.

»Hmm. Der wird nur sagen, dass wir nie mehr die Alten sein werden.«

»Wir sind erwachsen, wir könnten auf die Meinung unserer Eltern pfeifen, aber irgendwie tun wir es doch nicht«, bemerkte Paul philosophisch.

»Da sagst du was.«

»Weil wir nur durch sie existieren.«

Veblen war irgendwann einmal zu dem Schluss gekommen, dass jeder auf Erden Diener der vorherigen Generation war, ein Produkt der Körperfabrik, das unterhaltsam und zweckdienlich sein sollte. Es passierte schnell, dass man sein Leben wie eine Entschuldigung lebte – um zu zeigen, dass man es wert gewesen war.

Sie schmiegte sich an ihn, vergaß keine Sekunde den auffälligen neuen Ring, mit dem sie an den Laken hängen blieb, und zuckte zusammen, als er plötzlich im Tagsüberton fragte: »Sag mal, Veb, stören dich diese Geräusche eigentlich nicht?«

»Ich habe so eine komische Angewohnheit«, erklärte sie, weil sie nicht wie jemand dastehen wollte, der gern inmitten von Ungeziefer wohnt. »Wenn um mich herum jemanden irgendetwas stört, habe ich das Gefühl, dass es mich nicht auch noch stören darf.«

»Darf?«

»Es ist, als würde irgendeine höhere Instanz von mir verlangen, ruhig oder neutral zu bleiben, damit nicht irgendwas Schreckliches passiert.«

»Irgendwie verdreht. Bringst du viel Zeit mit so etwas zu?«

Sie überlegte und stellte fest, dass es eine ihrer Hauptbeschäftigungen geworden war, sich selbst unter Druck zu setzen. War es die Angst vor einem Domino-, Schneeball- oder...