Die Wilden Hühner 1

von: Cornelia Funke

Dressler Verlag GmbH, 2018

ISBN: 9783862720835 , 192 Seiten

Format: ePUB

Kopierschutz: Wasserzeichen

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Preis: 9,99 EUR

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Die Wilden Hühner 1


 

1


Es war ein wunderbarer Tag. Warm und weich wie Hühnerfedern. Aber leider ein Montag. Und die riesige Uhr über dem Schuleingang zeigte schon Viertel nach acht, als Sprotte auf den Schulhof gerast kam.

»Mist!«, sagte sie, bugsierte ihr Rad in den verrosteten Fahrradständer und zerrte die Schultasche vom Gepäckträger. Dann stürmte sie die Treppe rauf und rannte durch die menschenleere Pausenhalle.

Auf der Treppe raste sie fast in Herrn Mausmann, den Hausmeister, hinein.

»Hoppla!«, sagte er und verschluckte sich an seinem Brot.

»’tschuldigung!«, murmelte Sprotte – und stürmte weiter. Noch zwei Flure entlang, dann stand sie japsend vor ihrer Klassentür. Mucksmäuschenstill war’s da drin. Wie immer bei Frau Rose. Sprotte schnappte noch mal nach Luft, klopfte und öffnete die Tür.

»’tschuldigung, Frau Rose«, sagte sie, »ich musste noch die Hühner füttern.«

Der dicke Steve sah sie erstaunt an. Die schöne Melanie hob die Augenbrauen. Und Fred, der blöde Kerl, schlug mit den Armen und krähte. Sehr witzig.

»Na, das ist ja mal eine originelle Ausrede«, sagte Frau Rose, spitzte den rot bemalten Mund und machte ein Kreuz in ihr kleines Buch.

Mit düsterer Miene ging Sprotte zu ihrem Platz, streckte Fred die Zunge raus und setzte sich. Neben Frieda, ihre allerbeste Freundin.

»Du hast Stroh in den Haaren«, raunte Frieda. »Wieso musstest du Hühner füttern? Ist Oma Slättberg krank?«

Sprotte schüttelte den Kopf und gähnte. »Zu ihrer Schwester gefahren. Und ich muss fürs Füttern ’ne Stunde früher aufstehen. Eine Stunde! Kannst du dir das vorstellen?«

»Schluss mit dem Getuschel dahinten«, rief Frau Rose und fing an, rätselhafte Zahlen an die Tafel zu schreiben. Frieda und Sprotte senkten die Köpfe, bis sie sich fast die Nasen an ihren Büchern stießen.

»Aber das hat mich auf ’ne Idee gebracht!«, flüsterte Sprotte.

»Ah, ja?« Besorgt sah Frieda von ihrem Buch auf. Sprottes Ideen waren schlimmer als Windpocken. Und sie brütete ständig neue aus.

»Schick Melanie und Trude eine Nachricht«, flüsterte sie Frieda zu. »Geheimtreffen in der nächsten Pause auf dem Klo.« Trude und die schöne Melanie saßen nebeneinander, drei Tische weiter vorn, und betrachteten gerade sehr angestrengt die Tafel.

»O nein!«, stöhnte Frieda. »Du willst doch wohl nicht wieder mit diesem Bandenkram anfangen?«

»Schreib!«, zischte Sprotte.

Frieda beherrschte die Banden-Geheimschrift perfekt. Was man von Sprotte nicht behaupten konnte – obwohl sie sie erfunden hatte. Kein Wunder, sie konnte sich nicht mal merken, ob man »Lehrer« mit »h« oder »ee« schreibt.

»So, bitte mal jemand an die Tafel!«, sagte Frau Rose.

Frieda zog den Kopf ein. Sprotte guckte in ihr Mathebuch.

»Niemand freiwillig?«

»Welches Codewort?«, flüsterte Frieda und riss ein Blatt aus ihrem Ringbuch.

Sprotte kritzelte etwas auf den Tisch.

Frieda verzog das Gesicht. »Was soll das denn sein?«

»Na, ein Huhn natürlich«, zischte Sprotte ärgerlich. »Ist doch ’n prima Codewort, oder? Beeil dich.«

Frau Rose guckte schon wieder zu ihnen herüber.

»Fred meldet sich freiwillig!«, sagte Sprotte laut und wischte das verunglückte Huhn mit dem Daumen weg.

»Ha, ha.« Fred rutschte tiefer in seinem Stuhl.

»Fertig«, flüsterte Frieda, faltete die Nachricht sorgfältig zusammen und schob sie Sprotte hin.

»Charlotte, komm du bitte an die Tafel und löse die Aufgabe!«, sagte Frau Rose.

»O nein. Bitte, das hat keinen Sinn«, sagte Sprotte. »Wirklich nicht, Frau Rose.«

»Charlotte, an die Tafel.« Frau Rose hob die Augenbrauen. Das tat sie immer, wenn sie sich ärgerte.

Also stand Sprotte auf, nahm den Zettel in die Hand – und warf ihn der schönen Melanie im Vorbeigehen in den Schoß. Aber hinter Frau Roses runder Brille verbargen sich Adleraugen, denen nichts entging. »Melanie, zeigst du mir bitte mal den Zettel, den du da gerade bekommen hast?«, flötete sie. Und die schöne Melanie kriegte einen puterroten Kopf und brachte Sprottes Geheimbotschaft widerstandslos nach vorne.

»Neffert mmedfua knehcdä shcänol esuapet rowedoc nhuht«, las Frau Rose vor. »Was soll das denn?«

»Das ist Sprottes blödsinnige Geheimschrift«, verkündete Fred. Er grinste so breit, dass ihm fast die Ohren abfielen. Sprotte nahm sich ein Stück Kreide, kniff die Lippen zusammen und starrte die Tafel an.

»Nun, wenn das hier geheim ist«, sagte Frau Rose, faltete Sprottes Nachricht wieder zusammen und drückte sie Melanie in die Hand, »dann soll es auch geheim bleiben. Charlotte, fang bitte an zu rechnen.«

Der Rest der Stunde wurde für Sprotte ziemlich unangenehm. Aber auch Fred zerbrach sich gründlich den Kopf. Über Neffert mmedfua knehcdä und so weiter.

 

»Ein doofer Treffpunkt!«, sagte Melanie. Zu dritt drängten sie sich in einer Klokabine. Frieda hatte es noch am besten getroffen, denn sie saß auf dem Klodeckel.

»Das ist der einzige Ort, wo Freds Bande uns nicht ausspionieren kann«, sagte Sprotte.

»Ausspionieren! Was gibt’s denn auszuspionieren?«, fragte Melanie spöttisch und zupfte an ihren Locken herum. »Ich wette, die Jungs haben was Besseres zu tun.«

»Ach ja?«

Jemand klopfte an die Tür und raunte: »Huhn! Huhuhn!« Sprotte schloss die Tür auf und Trude drängte sich hinein. Nun wurde es erst richtig eng.

»Entschuldigung«, sagte Trude verlegen. »Aber ich musste noch mal zum Klo. Richtig, meine ich.« Sie wurde rot. »Was gibt’s denn?«

»Sprotte hat eine Idee«, sagte Frieda.

Melanie steckte sich ein Kaugummi zwischen die schneeweißen Zähne. »Na, wenn die so ist wie die letzte, dann gute Nacht!«

»Was willst du hier eigentlich, wenn dir unsere Bande so auf die Nerven geht?«, fauchte Sprotte.

Melanie verdrehte die Augen. »Schon gut. Rück raus mit deiner Idee.« Kichernd stieß sie Trude an. »Vielleicht will sie uns ja wieder so ’nen echten Hexentrank kochen, von dem wir tagelang grün im Gesicht sind.«

Sprottes Antwort war ein eisiger Blick.

»O Mann, können wir jetzt vielleicht mal zur Sache kommen?«, fragte Frieda, kletterte auf den Klodeckel und stieß das Fenster auf.

»Okay.« Sprotte rieb sich die Nase. Das tat sie immer, wenn sie ärgerlich oder verlegen war. »Meine Oma ist für eine Woche zu ihrer steinalten Schwester gefahren und ich hüte das Haus und die Hühner und so. Da hab ich gedacht, dass das ein prima Hauptquartier wäre – und wenn wir uns diese Woche öfter träfen – ja, also«, sie sah auf ihre Füße, »dass wir dann vielleicht doch noch ’ne richtige Bande würden.«

»Find ich toll«, sagte Trude mit einem Seitenblick auf Melanie. Eine Sache war für sie erst in Ordnung, wenn Melanie ihren Segen dazu gab. Aber die guckte leider gar nicht begeistert.

»Was heißt denn öfter?«, fragte Melanie.

»Na, fast jeden Tag.«

Frieda schüttelte den Kopf. »Ob ich so oft kann, weiß ich nicht. Ihr wisst doch, mein kleiner Bruder …«

»Mann, dein kleiner Bruder«, sagte Sprotte ärgerlich. »Auf den kann auch mal dein großer Bruder aufpassen.«

»Du hast gut reden«, murmelte Frieda. Sprotte hatte keine Geschwister. Ihre Mutter fuhr Taxi und war meistens nicht zu Hause. Und ihr Vater – na, der war nicht da und den erwähnte man auch besser nicht.

»Was sollen wir denn so oft miteinander anfangen?«, fragte Melanie.

Draußen klingelte es zur nächsten Stunde.

»Na, was fängst du denn sonst so Aufregendes an?«, fragte Sprotte ärgerlich. »Also, ich jedenfalls sitz zu Hause rum, wenn ich nicht gerade bei meiner Oma schufte. Frieda hat nichts Besseres zu tun, als dauernd auf ihren kleinen Bruder aufzupassen. Und Trude erlebt ja wohl auch nicht am laufenden Band die großen Abenteuer, oder?«

Trude lächelte verlegen und starrte auf die schmutzigen Kacheln vor ihren Füßen.

»Ich geh zum Ballett!«, sagte Melanie schnippisch. »Und Gitarre hab ich auch.«

»Das hört sich ja sehr abenteuerlich an«, spottete Sprotte. »Das kannst du natürlich nicht mal ’ne Woche ausfallen lassen.«

»Klar geht das!« Melanie kniff wütend die Augen zusammen. »Aber was dann?«

»Na, das werden wir sehen!«, rief Sprotte. »Abenteuer kann man doch nicht planen wie Ballett oder so was. Die warten um die Ecke und – zack! Plötzlich sind sie da!«

Die drei andern sahen sich an. Ihre Köpfe waren plötzlich voller Bilder von Schätzen, Rittern und Piraten. Sprotte hatte es geschafft.

Mit einem unsicheren Lächeln sah Trude Melanie an. »Ich würd’s gern noch mal versuchen«, sagte sie.

Melanie zuckte die Achseln. »Okay. Eine Woche. Dann sehen wir weiter.«

Trude strahlte sie erleichtert an.

»Ich bin auch dabei«, sagte Frieda. »Kann allerdings sein, dass ich meinen kleinen Bruder mal mitbringe.«

»Also gut, dann.« Sprotte holte tief Luft. »Dann treffen wir uns heute Nachmittag. So um drei. Einverstanden?«

»Meinetwegen«, sagte Melanie. »Aber ich zieh nicht wieder dieses blöde blaue Banden-T-Shirt an, in dem wir damals immer rumgerannt sind. Da drin seh ich unmöglich aus.«

»Irgendwas müssen wir aber gleich haben!«, sagte Sprotte ärgerlich. »Und ich zieh garantiert kein Rüschenkleidchen an, damit du gut aussiehst.«

»Kleidung als Erkennungszeichen ist doch langweilig«, sagte Frieda. »Wie wär es mit ’ner Tätowierung oder so was?«

Entsetzt sah Trude sie an.

»War ja nur ’n Beispiel«, sagte Frieda.

»Vielleicht fällt ja irgendeiner noch was ganz Tolles ein«, sagte Sprotte. »Also, drei Uhr. Und...