Junger Herr - ganz groß - Oder: Der Jungherr von Strammin

von: Hans Fallada

Null Papier Verlag, 2019

ISBN: 9783962814311 , 426 Seiten

Format: ePUB

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Junger Herr - ganz groß - Oder: Der Jungherr von Strammin


 

1 – Ich fahre mit vierhundert Zentnern Weizen nach Stralsund und komme ohne ein Pfund dort an


Es war ganz fei­er­lich. Auf dem Hof hiel­ten hin­ter­ein­an­der die zwan­zig vier­zöl­li­gen Acker­wa­gen, je­der bis oben be­la­den mit pral­len Wei­zen­sä­cken und je­der be­spannt mit vier Füch­sen, mit je­nen pracht­vol­len Füch­sen, die un­ser Fa­mi­li­en­gut Stram­min weit über Pom­mern hin­aus be­rühmt ge­macht ha­ben. Auf der Freitrep­pe aber stand mein lie­ber Papa und hat­te eben vor lau­ter Rüh­rung und Auf­ge­regt­heit zum drit­ten Mal sein Ein­glas ver­lo­ren. Und hin­ter Papa stand Mama, rück­te ihr Häub­chen noch schie­fer und mur­mel­te im­mer wie­der: »Oh, quel grand mo­ment! Ma­de­moi­sel­le Thi­baut, mon ca­che­nez!«

Wäh­rend Ma­de­lei­ne Thi­baut der Mama das Ta­schen­tuch aus dem großen Pom­pa­dour reich­te, warf sie, näm­lich die klei­ne Thi­baut, mir einen ih­rer ra­schen ver­füh­re­ri­schen Bli­cke zu und feuch­te­te da­bei schnell ihre Lip­pen mit der spit­zes­ten Zun­ge an – als dür­fe sie sich heu­te früh er­lau­ben, was ich ihr schon zehn­mal ver­bo­ten hat­te, näm­lich das Pous­sie­ren mit mir, dem Jung­herrn von Stram­min.

Nein, es war wirk­lich schon gar zu al­bern und gar nicht mehr fei­er­lich! Es stimm­te wohl: auf den Wa­gen wa­ren un­se­re letz­ten vier­hun­dert Zent­ner Wei­zen, und wir brauch­ten den Er­lös da­für recht nö­tig. Und es stimm­te wei­ter, wir hat­ten bis zum Stral­sun­der Ha­fen acht­und­zwan­zig Ki­lo­me­ter zu fah­ren, und un­ser Käu­fer, der Käp­t’n Ole Pe­der­sen der klei­nen schwe­di­schen Brigg Svio­nia war trotz sei­ner sil­ber­nen Ohr­rin­ge ein höchst zwei­fel­haf­ter Bur­sche und wür­de al­les ver­su­chen, mich um den Kauf­preis zu prel­len. Und zum drit­ten war es rich­tig, dass ich zum ers­ten Mal in mei­nem Le­ben eine der­ar­ti­ge Auf­ga­be zu er­fül­len hat­te, weil näm­lich un­ser In­spek­tor Hoff­mann mit ei­nem ge­bro­che­nen Bein im Bett lag.

Aber dies war mir nun doch zu viel! Schließ­lich war ich kein ba­rer Säug­ling mehr, son­dern schier drei­und­zwan­zig Jah­re alt, Erb­herr auf, zu und von Stram­min, so gut wie ver­lobt und Be­sit­zer ei­nes viel­ver­spre­chen­den rot­blon­den Bärt­chens (und ver­dammt vie­ler Som­mer­spros­sen). Au­ßer­dem war un­ser lie­bes Stral­sund kein Ort, wo die Ot­tern und der Rost hau­sen, oder wie es sonst in der Schrift heißt, son­dern eine gute, alte, ehr­ba­re Ha­fen­stadt, voll tu­gend­sa­mer Bür­ger, die ei­nem Stram­min in je­der Not bei­ste­hen wür­den.

So rief ich denn mit ge­wal­ti­ger Stim­me über den Hof: »Jung­hanns, ab­fah­ren!« und der Vor­spän­ner Jung­hanns knall­te mit der Peit­sche, sei­ne Füch­se war­fen die Köp­fe und leg­ten sich in die Sie­len: knar­rend setz­te sich der Vier­zöl­ler in Be­we­gung. Und der nächs­te Knecht knall­te mit sei­ner Peit­sche und der drit­te, der sie­ben­te, der zehn­te, der fünf­zehn­te – don­nernd fuhr ein Ge­spann nach dem an­de­ren durch die ge­wölb­te Tor­fahrt, acht­zig Füch­se, ei­ner wie der an­de­re. Und alle Knech­te fuh­ren vom Sat­tel aus und sa­hen ge­nau­so statt­lich und zu­ver­läs­sig aus wie ihre Gäu­le. Stolz er­füll­te wie­der ein­mal mein Herz auf un­ser Rit­ter­gut Stram­min, und ich wuss­te, die Knech­te wa­ren eben­so stolz wie ich, und ich bin über­zeugt, selbst die Füch­se wa­ren stolz dar­auf, die schwe­ren Wei­zen­wa­gen für ein sol­ches Gut zie­hen zu dür­fen.

»Wenn es euch recht ist, Mama, Papa«, sag­te ich und mach­te eine klei­ne, scherz­haf­te Ver­beu­gung, »so wird sich euer Aus­hilfs­in­spek­tor jetzt auf die St­rümp­fe ma­chen.« Und ich wink­te mit den Au­gen dem Stall­bur­schen, der mei­nen Reit­fuchs Alex am Fuß der Freitrep­pe auf und ab führ­te.

»Du hast völ­lig Zeit, noch eine Tas­se Tee mit uns zu trin­ken, Lutz«, sag­te Mama.

»Und noch mehr Er­mah­nun­gen an­zu­hö­ren, nein, ich dan­ke schön!« rief ich. Aber als ich ihr Ge­sicht sah, be­reu­te ich, was ich eben ge­sagt. »Oh, ver­zeih mir, Mama«, sag­te ich schnell, »das war eben sehr un­ge­zo­gen von mir. Aber ich glau­be, ich ma­che mich jetzt wirk­lich auf mei­ne Rei­se. Alex wird schon recht un­ru­hig. Aber ich ver­spre­che dir, ich wer­de nur im ›Hal­ben Mon­d‹ am Markt lo­gie­ren, ich wer­de mit kei­nem Un­be­kann­ten trin­ken, kein jun­ges Mäd­chen an­schau­en. Ich wer­de das Geld kei­ne Mi­nu­te von mir las­sen …«

»Ich weiß, ich weiß«, ant­wor­te­te Mama, schon wie­der ganz ver­söhnt. »Den bes­ten Wil­len hast du. Wenn du nur nicht gar so sehr ein Stram­min wä­rest.«

»Und was fehlt den Stram­mins?« frag­te Papa kampf­lus­tig. »Was hast du an den Stram­mins aus­zu­set­zen, Amé­lie?«

»Dass sie sich in je­des Aben­teu­er stür­zen, dass sie den Mor­gen schon über dem Vor­mit­tag ver­ges­sen, das fehlt den Stram­mins, Herr von Stram­min«, ant­wor­te­te Mama mit ei­ni­ger Stren­ge. »Dass sie kei­nem Mäd­chen­ge­sicht und kei­ner Spiel­kar­te wi­der­ste­hen kön­nen. – Nun, nun, Ben­no«, mein­te sie, als Papa sehr rot wur­de und Blit­ze durch sein Ein­glas schoss, »du hast doch wohl kaum Ur­sa­che, dich über die­se Be­mer­kun­gen zu er­re­gen. Wer hat die­sen Win­ter von Can­nes ab­ge­ra­ten? Wer hat ge­sagt: Mon­te liegt gar zu nahe? Und wer hat geant­wor­tet: kei­nen Fuß set­ze ich in die­se Spiel­höl­le, kei­ne Kar­te rüh­re ich dort an? Und nun? Wa­rum fah­ren wir denn un­sern letz­ten Wei­zen vom Hof und ver­kau­fen ihn an einen Schuft von Ka­pi­tän statt an un­sern eh­ren­er­prob­ten Ka­lan­der?«

»Der Schwe­de zahlt drei­ßig Mark für die Ton­ne mehr«, mur­mel­te Papa, nun doch sehr be­tre­ten.

»Er wird sie nie zah­len«, er­klär­te Mama. »Er wird über­haupt nicht zah­len. Er wird un­sern Jun­gen be­gau­nern und ihn in tau­send Ver­le­gen­hei­ten stür­zen. Aber, Lutz«, wand­te sich Mama wie­der an mich, der bei die­ser Aus­ein­an­der­set­zung wie auf Koh­len ge­stan­den hat­te, denn die­se Per­son, die Thi­baut, hat­te das al­les mit der spitz­bü­bischs­ten Mie­ne an­ge­hört, ein wah­rer Ga­min … »Aber, Lutz«, sag­te Mama, »ich weiß, du wirst lie­ber ohne einen Pfen­nig Geld zu­rück­keh­ren als mit dem kleins­ten Fle­cken auf dei­ner Ehre.«

»Liebs­te Mama«, sag­te ich und bück­te mich, um ihr die Hand zu küs­sen.

Aber sie zog mich an sich und küss­te fei­er­lich mei­ne Stirn. »Was man auch ge­gen die Stram­mins ein­wen­den kann«, sag­te sie dann, »in schwie­ri­gen La­gen hat ein Stram­min im­mer ge­wusst, was ihm sei­ne Ehre ge­bot. Und ein Las­senthin auch«, setz­te sie hin­zu, denn Mama ist eine ge­bo­re­ne Las­senthin, wor­an ich in den nächs­ten Ta­gen noch mehr­fach ein­dring­lich er­in­nert wer­den soll­te.

»Und nun«, fuhr Mama mit ei­nem je­ner plötz­li­chen Über­gän­ge fort, die sie so liebt, und zog mich di­rekt vor Fräu­lein Thi­baut, »se­hen Sie nach, Ma­de­moi­sel­le Ma­de­lei­ne, ob Lutz auch völ­lig com­me il faut1 ist. Ich will doch, dass er in Stral­sund gute Fi­gur macht.«

Ich fühl­te, dass ich un­ter dem hel­len, mus­tern­den Blick der »Ei­dech­se« rot wur­de. Die­ses Frau­en­zim­mer hat lan­ge, ge­schlitz­te Au­gen, und sie kann mich da­mit so scham­los an­se­hen, dass ich ein­fach rot wer­den muss. Jetzt sah sie mich von un­ten bis oben an, als sei ich nur ein Hau­ben­stock, kein jun­ger Mann. Ich trug...