Seitensprünge - Warum Untreue nicht zur Trennung führen muss

von: Stephanie Katerle

Klett-Cotta, 2018

ISBN: 9783608110401 , 192 Seiten

Format: ePUB

Kopierschutz: Wasserzeichen

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Preis: 17,99 EUR

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Mehr zum Inhalt

Seitensprünge - Warum Untreue nicht zur Trennung führen muss


 

1. Persönliche Einleitung


So sprach mir ein Weib:
»Wohl brach ich die Ehe,
aber erst brach die Ehe mich.«

Friedrich Nietzsche

Schon wieder ein Buch übers Fremdgehen?


Seitensprung – darüber gibt es so unendlich viele Bücher, dass auch ich in meiner bescheidenen Fachbibliothek mindestens zehn Exemplare besitze. Seitensprung – das ist einer der häufigsten Trennungsgründe, oftmals dominantes Thema in meinen Paarcoachings und stets willkommener Anlass für süffisante Berichterstattung in einschlägigen Gazetten. Die Empfindungen und Gedanken der Betroffenen im Fall der Untreue sind unübersichtlich und vielfältig. Chaos scheint auszubrechen, wenn einer der Partner zeitweilig oder längerfristig aus der Zweisamkeit ausschert. Partner und Umwelt fragen: Wie konnte das passieren? Lösungen und Erklärungen sowie Perspektiven für das weitere Leben werden gesucht.

Oftmals bleiben diese Lösungen seltsam provisorisch, sie tragen trotz aller Mühen nicht lange oder sicher genug. Das Buch will klären, warum die im Notfall begonnene Reparatur einer beschädigten Beziehung keine dauerhafte Lösung sein kann. Es will dazu anregen, den eigenen Wertvorstellungen über Liebe, Romantik, Erwartungen und Möglichkeiten in kritischer Reflexion zu begegnen. Nur so kommt man den tiefer liegenden Gründen für die verheerende Wirkung der Untreue auf die Spur und kann sie ausschalten. Das Buch will weder Vorschläge machen, wie man Beziehungen alternativ gestalten sollte, noch Tipps für eine lang anhaltende Liebesbeziehung verteilen. Es will aufklären – über die Monogamie als unsere kulturell verankerte Beziehungsform und ihre Anpassungsschwierigkeiten an die digitalisierte Welt. Und schließlich will es für diese aufgeklärte Art der Monogamie ausdrücklich werben. Es will erklären, warum es immer schwieriger wird, lange treu zu bleiben, und warum es trotz aller Modernität und Liberalität immer noch so unendlich schmerzhaft ist, vom geliebten Menschen hintergangen zu werden. Insofern sei noch einmal explizit darauf hingewiesen: Dies ist kein Entschuldigungsbuch für Seitenspringer. Untreue und Illoyalität sind Verletzungen, die langsam heilen und lange schmerzen. Die Lösung kann aber auch nicht in jedem Fall sein, die Beziehung zu beenden und dasselbe Spiel mit einer neuen Person oder dem vertrauten Partner noch einmal von vorn zu beginnen.

Der Seitensprung ist die Sollbruchstelle aller Beziehungen der westlichen Welt1. An keiner Stelle ist es so nachvollziehbar, wenn die Beziehung beendet wird. Paare quälen sich oft jahrelang durch Beziehungen voller Lieblosigkeit, gar Gewalt, Sucht oder Desinteresse. Doch sie bleiben zusammen, denn »man hat sich ja (noch) nicht betrogen«. Männer und Frauen ertragen Langeweile, Sprachlosigkeit und Kälte in der Beziehung erstaunlich lange und in unheimlichem Langmut. Aber bei einem Seitensprung ist es schlagartig vorbei mit der Geduld. Hier hat die Umwelt spontan Verständnis für eine Trennung. Untreue ist die am meisten akzeptierte Begründung für eine Trennung, so wie »Treue« die größte Erwartung an einen Partner ist. Orientiert sich einer der Partner also kurz- oder längerfristig nach außen, kann es relativ sauber »knack« machen, und die Beziehung ist vorbei, obwohl sie unter Umständen noch viel Potential gehabt hätte und eine Menge Ressourcen aufweist, die nun verloren gehen. An dieser Sollbruchstelle endet die Beziehung entweder, oder sie gesundet mehr oder weniger und wird fortgeführt. Das hängt ein bisschen davon ab, in welchem Umfeld man lebt und wie die sozialen Peers den Seitensprung bewerten.

Untreue ist für die Beziehung gefährlich, sie stellt die bisherigen Glaubenssätze infrage. Nur wenn diese Sollbruchstelle als Gefahrenquelle ausgeschaltet und durch solide, verlässliche Verabredungen verstärkt wird, verliert sie diese Bedrohlichkeit für Liebesverbindungen. Solch eine Sollbruchstelle wird strukturell, aber unbewusst, in jede Beziehung eingebaut, die vor einem deutschen, österreichischen oder niederländischen Standesamt oder in der Kirche geschlossen wird. An dieser Position ist einfach ein Punkt erreicht, an dem die Beteiligten sich entscheiden müssen, ob, wie und in welche Richtung es weitergeht. Paare haben es zu großen Teilen selbst in der Hand, die Sollbruchstelle zu identifizieren und unschädlich zu machen. Das kann funktionieren und gibt ihnen zukünftig Sicherheit und Zutrauen in ihr Liebesleben.

Was also, wenn der Seitensprung in der Beziehung unvermittelt passiert? Muss man sich Sorgen machen, und wenn ja: Hilft das? Wo kann man sich Hilfe holen? Was kann man tun? Freunde und Familie sind nicht immer die besten Berater, zu emotional und subjektiv sind ihre Ansichten. Das ist der Moment, in dem Menschen zum Buch greifen. Sie suchen Input, der ihre Gedanken bereichert. Das Thema »Untreue« wird aber sowohl bei den konservativen Bewahrungsratgebern als auch bei den aufklärerischen neuen »Anti-Monogamie«-Schriften aus einzelnen Blickwinkeln (z. B. psychologisch, soziologisch) heraus behandelt. Ratgeber psychologisieren vielfach die Betroffenen und Unsicheren, die meist sowieso vor lauter Fragezeichen im Kopf nächtens keinen Schlaf finden. Einige Sozio-Biologen reichern das Thema mit ihren Erkenntnissen darüber an, warum Menschen so sind, wie sie nun einmal sind, und der Rest wird der Kernzelle, dem Paar, überlassen.

Alles wirkt auf alles – aber wie!


Hier kommt die systemische Grundlage meiner Arbeit zum Tragen. Wenn ich als systemischer Coach in meiner Beratung nicht die Person mit dem Problem therapiere, sondern immer das ganze System, darf ich im Fall der Untreue nicht nur das Paar und schon gar nicht nur den Untreuen therapieren, sondern muss deren oder dessen System in den Blick nehmen. Und lässt man sich darauf ein, wird klar, dass insbesondere im Fall der Paarbeziehung das Paar ebenfalls nicht isoliert als »Patient« auftreten darf, sondern wiederum in dessen System zu betrachten ist. Das System des Paares besteht aus dessen sozialen Kontakten, aber auch aus den ideologischen Konventionen, die ihre Kernzelle umgeben und prägen. Kein Buch führte bislang die wissenschaftlichen Einzelaspekte des Themas »Untreue« zusammen. Die meisten Autoren verblieben in der jeweilig fachspezifischen Reparatur der bisherigen Paarbeziehung, bewerteten den Vorfall als Funktionsstörung, begleitet von der besorgten Nachfrage: »Warum sind manche Menschen zur Treue unfähig?« und »Wie bekommt man den alten Zustand wieder hin?« So wird der Treulose zum Symptomträger, was immer eine eingeschränkte, weil monokausale Sichtweise ist. Die Einzelperspektive allein trägt niemals dazu bei, die Verzweiflung, das Getriebensein und die Ratlosigkeit zu Zeiten der Krise zu erkennen, geschweige denn zu erklären oder gar zu lösen. »Untreue« scheint ein Problem zu sein, das unlösbar zu der Zweierbeziehung, wie wir sie kennen, dazugehört. Das eine geht nicht ohne das andere.

Keine Untreue ohne romantische Liebe, keine romantische Liebe ohne Untreue


In jedem System von Zweierbeziehung ist die Idee der Untreue bereits vorinstalliert. Dass es Untreue gibt, scheint eine Naturgewalt zu sein, gegen das die Individuen dennoch entgegen aller Vernunft ankämpfen. Fast so, als wolle man die Möglichkeit von Hochwasser oder Blitzeinschlägen abstreiten oder die Erde wieder zu einer Scheibe machen, leugnen Paare lange die Möglichkeit eigener Untreue und werden doch in etwa der Hälfte aller Fälle zum Opfer ihrer eigenen Versprechungen. Einen Blitzableiter in Form von offenen und manchmal auch schonungslosen Gesprächen lehnen sie ab und behaupten, ein solcher Fall komme bei ihnen einfach nicht vor. Und doch: Der Blitz schlägt ein, das Haus nimmt Schaden. Statt sich darüber klar zu werden, was man gemeinsam nicht hat sehen wollen, trennen sich viele Paare, enttäuscht und verzweifelt über den Verlust der vormals sicheren Heimat. Und kurz darauf bauen sie in unmittelbarer Nachbarschaft ein neues Haus mit einem neuen Partner – wieder ohne Hochwasserschutz und Blitzableiter. Die Untreue kann durch menschliche Nachlässigkeit eine Gelegenheit finden oder durch schiere Absicht. Doch wie auch immer sie geschieht, sie geschieht. Darüber schreiben Dichter seit tausend Jahren, daran beißen sich Kirche und Staat die Zähne aus,...