Märchen vom Stadtschreiber, der aufs Land flog - Holzschnitte von Heinz Kiwitz

von: Hans Fallada

Null Papier Verlag, 2019

ISBN: 9783962813659 , 249 Seiten

Format: ePUB

Kopierschutz: Wasserzeichen

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Märchen vom Stadtschreiber, der aufs Land flog - Holzschnitte von Heinz Kiwitz


 

Erstes Kapitel



»Hört, Land­be­woh­ner! all mir zu«.

J. F. Cooper; Der Lot­se


Vor vie­len Jah­ren leb­te in ei­ner großen Stadt ein jun­ger Mann, der auf der Ge­schäfts­stu­be ei­nes Rats­herrn, ge­nannt Asio, Schrei­ber­diens­te zu ver­rich­ten hat­te. Von mor­gens bis in den spä­ten Abend hin­ein saß er an sei­nem Tisch, sich ge­gen­über einen an­de­ren, aber äl­te­ren Schrei­ber, na­mens Bubo, und schrieb flei­ßig ab, was ihm sein Herr an Ver­trä­gen, Ur­kun­den, Re­gres­sen, Ak­ten auf den Platz ge­legt. Wenn er die Hand mit der Fe­der zum Tin­ten­fas­se führ­te, be­geg­ne­te sie wohl der Hand des Schreib­ge­fähr­ten drü­ben, und wenn er dann un­will­kür­lich den Blick hin­über­rich­te­te, sah er das ge­senk­te Auge des an­de­ren, das schon die nächs­te Zei­le der Vor­la­ge im vor­aus las, und umso em­si­ger kehr­te er, wie ein er­tapp­ter Faul­mann, zum ei­ge­nen Schreib­werk zu­rück. Aber wie eif­rig er sich auch müh­te, nie war der Berg der Auf­ga­ben vor ihm ganz ab­zu­tra­gen, und mein­te er den einen Abend, heu­te habe er es aber gut ge­macht und mor­gen sei Ar­beit ein gar ra­rer Ar­ti­kel, so hat­te den Rats­herrn über Nacht ge­ra­de das Zip­per­lein ge­plagt, und er hat­te in sei­ner Schlaf­lo­sig­keit so vie­les aus Schrän­ken und Map­pen her­vor­ge­kramt, dass am Mor­gen der Berg hö­her lag, denn je. Dar­über wur­de das Schrei­ber­lein fast trüb­sin­nig, und wenn er dann gar in das erns­te, graue Ge­sicht sei­nes Ge­gen­über sah, in des­sen Fal­ten sich der Ak­ten­staub vie­ler Jah­re nie­der­ge­setzt zu ha­ben schi­en – wenn er sich dann so recht leb­haft vor­stell­te, dass er in zehn oder zwan­zig Jah­ren auch so ernst­haft da­sit­zen wür­de, mit wei­ter nichts im Kopf, als den Wett­lauf zwi­schen Pa­pier­berg und Fe­der – so hät­te er am liebs­ten den Hut vom Na­gel ge­ris­sen und wäre hin­aus­ge­lau­fen in die wei­te Welt. Jede Stra­ße wäre ihm recht ge­we­sen, wenn sie nur fort­führ­te von der pa­pie­re­nen Ge­schäfts­stu­be. Sol­ches zu tun aber ver­bot sich, denn er hat­te nie­man­den, der für sei­ne Nah­rung und Klei­dung sorg­te, als sich sel­ber. Kein Va­ter und kei­ne Mut­ter, kein Ver­wand­tes sah nach ihm; al­lein muss­te er sich sein Es­sen ko­chen, al­lein sein Klei­der­werk fli­cken; und wenn er in die wei­te Welt hin­aus­rann­te, so wuss­te er doch, dass er nichts ge­lernt hat­te, wie ein biss­chen Schrei­be­rei, und die wür­de auf kei­ner Amts­stu­be an­ders aus­se­hen als auf die­ser. Als er nun an ei­nem recht trü­ben, dunklen No­vem­ber­vor­mit­tag über dem Schrei­ben schon dann und wann nach dem Fens­ter schiel­te, vor dem die Vö­gel hei­schend lärm­ten – denn es war fast sein ein­zi­ges Ver­gnü­gen, die­se sei­ne Freun­de um die Mit­tags­stun­de zu füt­tern –, hob plötz­lich sein ält­li­ches Ge­gen­über, der Schrei­ber Bubo, den Kopf, sah ihn freund­lich an und sprach: »Nun, Bru­der, öff­ne schon das Fens­ter und streue Dei­nen Lieb­lin­gen ihr Brot. Auf ein paar Mi­nu­ten wird es wohl nicht an­kom­men, so flei­ßig, wie wir heu­te wa­ren, und der Herr Asio kommt vor zwei Stun­den nicht wie­der vom Bür­ger­meis­ter­amt.«

Höf­lich, aber ein we­nig ver­wirrt, be­dank­te sich der Schrei­ber für die un­ge­wohn­te Gunst, die ihm der an­de­re in den man­cher­lei Jah­ren, da sie ein­an­der ge­gen­über sa­ßen, noch nie ge­währt hat­te. Und wäh­rend er das Fens­ter öff­ne­te und noch im­mer ganz be­nom­men den Mei­sen und Spat­zen, Am­seln und Fin­ken und was sich an Vo­gel­ge­tier im­mer an die­sen Fut­ter­platz ge­wöhnt hat­te, die Brot­bro­cken hin­streu­te, hör­te er den an­de­ren recht mit­lei­dig sa­gen: »Oft dau­erst Du mich sehr, Bru­der, wenn ich Dich so von mor­gens bis in die Nacht über Dei­ner Ar­beit sehe. Ich bin ein al­ter Mensch, und mir macht es nichts mehr, aber um Dich jun­ges Blut ist es jam­mer­scha­de!«

Da hat­te der an­de­re et­was ge­sagt, was der Stadt­schrei­ber oft im Stil­len bei sich ge­dacht, und eif­rig stimm­te er nun dem Ge­fähr­ten zu. Was sie doch für ein gar elen­des, aus­sichts­lo­ses Le­ben führ­ten, schlim­mer noch als die Skla­ven bei den Hei­den, denn de­ren Le­ben sei ih­ren Her­ren doch noch eine Sum­me Gel­des wert, wäh­rend ih­rer ei­ner, kaum dass er nur ein we­nig krank ge­wor­den, in Not und Elend ver­sto­ßen und auf der Stel­le durch einen an­de­ren er­setzt wer­de.

Der an­de­re hör­te dem kla­gen­den Ge­schwätz gar bei­fäl­lig zu, nick­te mit dem Kopf und frag­te dann teil­neh­mend, ob der Bru­der denn nie­man­den Ver­wand­tes habe, der ihm mit ei­nem freund­li­chen Zu­spruch und ei­nem klei­nen Lust­geld für den Sonn­tag bei­sprin­gen könn­te?

»Nein«, sag­te der jun­ge Schrei­ber. »Von den Spat­t’s, von de­nen ich mich her­schrei­be, bin ich der ein­zi­ge, der noch lebt. – Und so muss ich denn se­hen«, setz­te er et­was küm­mer­lich lä­chelnd hin­zu, »dass ich es so wei­ter trei­be, wie es nun ein­mal läuft.«

So wis­se er denn in die­sem Punk­te we­nigs­tens mehr als der Bru­der Spatt, sag­te der alte Schrei­ber lis­tig. Vor ein paar Wo­chen habe er die Ak­ten in ei­nem Grenz­streit zu be­ar­bei­ten ge­habt, und der eine von den bei­den Bau­ern, und ein schwer­rei­cher sei es ge­we­sen, habe Spatt ge­hei­ßen.

Dem Jun­gen ver­schlug es zu­erst die Rede. Dann mein­te er schüch­tern, es sei ja mög­lich, dass sein Name noch da und dor­ten im Lan­de vor­kom­me, aber wenn das wirk­lich Ver­wandt­schaft sei, sei es so ent­fern­te, dass sie den frem­den Hun­ger­lei­der leicht ent­beh­ren wer­de.

»Im Ge­gen­teil!« rief der an­de­re, und sei­ne großen, gelb­li­chen Au­gen sa­hen den Schrei­ber­ling recht zau­be­risch-ein­dring­lich an. »Im Ge­gen­teil!« Ob sich denn der Bru­der Spatt nicht mehr ent­sin­ne, dass er vor vie­len Jah­ren als ein klei­ner Jun­ge einen gan­zen Som­mer bei die­sem On­kel Spatt, der sein Va­ters­bru­der sei, zu­ge­bracht habe –? Von dort habe er doch auch erst sei­ne Vor­lie­be für al­les Vo­gel­ge­tier mit­ge­bracht! – Und er zeig­te auf das Fens­ter­brett, wo die Vö­gel sich um die letz­ten Bro­cken strit­ten.

Dem jun­gen Mann wur­de ganz wun­der­lich über dem Ge­re­de des an­de­ren. ›Wie kannst Du von mir wis­sen, was ich selbst nicht weiß‹, woll­te er ihm zu­ru­fen. Aber vor dem im­mer hel­ler leuch­ten­den gel­ben Blick wur­de es ihm an­ders. Dun­kel reg­te es sich in ihm, ganz ver­ges­se­nes Erin­nern stieg auf: ein statt­li­ches wei­ßes Haus, mit Wein be­rankt, er­höht über der Dorf­stra­ße ge­le­gen, brei­te Stein­stu­fen führ­ten em­por, die für das Kind zu hoch wa­ren – der war­me, heim­li­che Ge­ruch ei­nes dun­keln­den Stal­les – Heu­hau­fen, grö­ßer als ein Bett, auf de­nen man in je­der Rich­tung schla­fen konn­te … War es Traum, war es wirk­lich Erin­nern –?

La­chend hat­te un­ter­des der an­de­re wei­ter­ge­spro­chen. Im Som­mer sei frei­lich solch Be­such nicht zu emp­feh­len, die Bau­ern wüss­ten auch, was ein jun­ger Mann zur Ern­te­zeit wert sei, und spann­ten ihn mehr als ihm lieb ein. Da käme der Bru­der Spatt wohl gar vom Re­gen in die Trau­fe! Aber jetzt, im be­gin­nen­den Win­ter­wet­ter, sei ge­ra­de die rech­te Zeit. Da lie­ge der Bau­er auf der fau­len Haut und esse nur von mor­gens bis abends präch­tig, was ihm die Ern­te­zeit in alle Kam­mern zu­ge­tra­gen … Der Bru­der möge nur nicht säu­men,...