Meditieren - aber wie? (Leben Lernen, Bd. 294) - Krisen in der Meditation überwinden

von: Sylvia Wetzel

Klett-Cotta, 2018

ISBN: 9783608110357 , 160 Seiten

Format: ePUB

Kopierschutz: Wasserzeichen

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Preis: 24,99 EUR

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Mehr zum Inhalt

Meditieren - aber wie? (Leben Lernen, Bd. 294) - Krisen in der Meditation überwinden


 

Einführung


Manchmal gehen wir einen meditativen Weg mit Freude und Zuversicht. Und manchmal scheint nichts mehr zu funktionieren. Doch Hindernisse und Krisen gehören zum Weg, denn der Weg findet mitten im Leben statt, nicht an einem besonderen und heiligen Ort. Welche Hindernisse und Krisen kennen wir? Was hat uns geholfen, sie zu überstehen, ohne zu resignieren oder zu verzweifeln? Ich will in diesem Buch typische Erwartungen, Hindernisse und Fallen auf dem Weg beschreiben und einige Krisen, auch aus eigener Erfahrung. Und ich werde Überlegungen und Übungen vorschlagen, wie wir unseren je eigenen Weg auch in Zeiten der Langeweile und Lustlosigkeit, bei innerem Druck und Enttäuschung, trotz Desorientierung und Zweifel immer wieder finden und gehen können.

Ich möchte Erwartungen, Hindernisse und Schwierigkeiten und die entsprechenden Heilmittel beschreiben, die wir erleben, wenn wir anfangen, dranbleiben und erwachsen werden. Jeder Phase ist einer der drei Teile des Buches gewidmet. Das Motto dieses Buches ist Vielfalt, denn Menschen sind verschieden, und jeder Weg ist anders. Es gibt unterschiedliche Meditationsübungen, und wir stehen auch nicht alle am gleichen Punkt mit unseren meditativen Erfahrungen. Deshalb stelle ich kein lineares Stufenprogramm vor, sondern bespreche unter den drei Stichworten unterschiedliche Ansätze. Ich weise immer wieder darauf hin, dass und wie die gleichen Übungen und Überlegungen in unterschiedlichen Phasen unseres Lebens und Übens Unterschiedliches in uns auslösen können und dann auch ein anderes Vorgehen nahelegen.

Meditative Übungen kann man in drei Gruppen einteilen, je nachdem, was ihr spezielles Ziel und ihre Funktion ist: Sammlung, Einsicht, Hingabe. Konzentrative Übungen fördern die Sammlung, und sie beruhigen und entspannen – für eine kleine Weile. Sie sind das Herz des ersten Teils. Thematische Übungen fördern unsere Einsicht, denn sie sind ein Raum, in dem wir Erfahrungen tiefer verstehen, annehmen und verarbeiten lernen.

Sammlung beruhigt vor allem körperlich, aber auch unsere Gefühle und Gedanken. Verstehen beruhigt noch tiefer, denn wenn wir Erfahrungen in einen größeren Zusammenhang einordnen und ihnen einen Sinn geben können, sind sie leichter anzunehmen und dann auch besser zu verarbeiten. Beide Ansätze haben auch mit Hingabe zu tun, denn ohne ein bisschen Hingabe können wir uns nicht auf eine Sache ausrichten und Sammlung entdecken, und begriffliches Verstehen verwandelt sich erst dann in tiefe Einsicht, wenn wir das, was wir verstanden haben, immer und immer wieder mit Hingabe und Interesse im Herzen bewegen.

Ich möchte hier noch kurz auf eine große Falle und Sackgasse hinweisen: das Pochen auf die Zauberformel der authentischen Erfahrung als Königsweg aus dem Gefängnis des rationalen Denkens, das uns doch nur in alten Gewohnheiten festhält. Dieser angebliche Ausweg ist kein Ausweg, sondern eine Sackgasse, denn wir machen alle genug Erfahrungen. Ob sie unser Herz öffnen und den Geist klären, hängt allerdings sehr von unseren Ansichten und Einstellungen und von unserer Interpretation ab. Es geht nicht darum, nicht mehr zu denken, denn das wäre eine Katastrophe, die unser Überleben gefährdet, sondern darum, unsere Gedanken und Vorstellungen, Erwartungen und Ängste zu bemerken, zu verstehen und zu überprüfen. Und dabei können uns konzentrative und thematische Meditationen unterstützen.

Sammlung und Einsicht tun gut und nehmen Druck aus unserem Leben, aber erst durch Hingabe an das, was größer ist als unser Verstand, entdecken wir eine neue Art von Zuversicht, ein Vertrauen auf die tiefe Weisheit in uns, jenseits von Worten und Begriffen. Thematische Übungen sind das Herz des zweiten Teils, und tiefe Einsicht, Hingabe und Vertrauen das Anliegen des dritten Teils. Ich schlage immer wieder kleine Übungen bzw. konkrete Überlegungen und Fragen vor und gebe dann im letzten Kapitel einen Überblick über alle verwendeten buddhistischen Begriffe und Modelle und Hinweise auf weitere Übungen in meinen Büchern.

Einige Hindernisse betreffen vor allem Anfänger*nnen auf dem Weg, andere Probleme tauchen erst auf, wenn wir schon jahrelang relativ regelmäßig üben, und wieder andere haben damit zu tun, dass man letztlich seinen eigenen Weg finden und spirituell erwachsen werden muss. Wann welche Hindernisse auftauchen, weiß man vorher nie, daher folgt das Buch eher dem Spiralmodell, und ich weise immer wieder auf Zusammenhänge zwischen unterschiedlichen Fragen und Problemen, Überlegungen und Übungen hin.

Ein letzter Punkt: Ich gehe davon aus, dass einige Hindernisse auf dem meditativen Weg individuelle Ursachen haben, die meisten Blockaden halte ich jedoch für kulturell bedingt. Seit der Aufklärung sind Vernunft und Freiheit unser großes Ideal, heutzutage leider meist in der Schrumpfvariante des technischen und linearen Verstandes und des authentischen Ausdrucks aller Gefühle und Bedürfnisse. Bis zur Reformation galten Seelenfrieden und innere Ruhe als höchstes Glück, aber für die postmoderne Gesellschaft sind unaufhörliches Wachstum, Weiterentwicklung und Fortschritt das einzige Ziel. Ruhe, Innehalten oder gar Stillstand sind der große Schrecken unserer Zeit. (Konersmann 2015) Auch aus diesem Grund fällt es den meisten Menschen so schwer innezuhalten. Ohne innezuhalten können wir aber das, was wir mit dieser Unkultur des »immer schneller, weiter, mehr« in uns und in der Gesellschaft anrichten, nicht mehr beurteilen und auch keine neuen Visionen oder Gegenentwürfe zum Bestehenden entwickeln.

Je weniger Sinn wir im Leben finden, desto schneller eilen wir (Viktor Frankl) und desto eher fallen wir zurück auf alte und älteste Muster. Unruhe und Angst, Zeitdruck und Leistungsdenken verwandeln uns in Anhängsel technischer Geräte, die nur noch den reaktiven Modus der Anpassung kennen und nicht mehr wissen, was sie wollen. In diesem Kontext der Unruhe und Unsicherheit halte ich meditatives Innehalten für einen revolutionären Akt. Denn es beruhigt uns durch Sammlungsübungen so weit, dass wir genauer hinschauen können, und dieser klare Blick gibt uns den Mut, neue Wege auszuprobieren, zusammen mit anderen. Innehalten, Beruhigung und ein realistischer Blick auf uns selbst und die Welt schützen uns vor zweierlei Fallen: vor blindem Aktionismus, der immer nur mehr vom Selben produziert, und vor Weltflucht, dem Rückzug in eine private Idylle, meist auf Kosten anderer.

Ich werde mich in diesem Buch daher nicht auf individuelle Tipps beschränken, die uns helfen, unsere spezifischen Hindernisse und Blockaden für die Meditation zu erkennen und zu überwinden, sondern Meditation als revolutionäre Methode interpretieren, die uns Zugang zu einem klaren Blick auf uns selbst und unsere Kultur ermöglicht. Und das brauchen wir, wenn wir, aus Verantwortung für uns und andere, zu einer Welt beitragen wollen, in der unterschiedliche Menschen miteinander auskommen und über die gemeinsame Welt verhandeln wollen und können.

Wir begegnen Menschen aus unterschiedlichen Kulturen, und auch in Deutschland und Europa leben wir zwar alle in der gleichen Kalenderzeit, aber z.T. in unterschiedlichen Kulturzeiten. Das Gros der Menschen in Europa lebt geistig in der Vormoderne, orientiert sich an Sitte und Brauchtum und fühlt sich überfordert von der Globalisierung mit ihrer Betonung von Flexibilität, Mobilität und Universalität. Das scheint mir der Hauptgrund für die heftigen Auseinandersetzungen um Sinn und Zweck und Gestaltung Europas. Wenn wir in einer demokratischen Gesellschaft miteinander auskommen wollen, müssen wir uns durch Sammlung und Einsicht so weit beruhigen, dass wir uns zuhören und respektieren und einigermaßen vertrauen können. Das gilt für uns als Privatpersonen, aber auch für die Menschen, die uns als Politiker*nnen vertreten sollen. Nur mit einer Haltung der relativen Ruhe und Klarheit können wir unser Bestes geben, das jeweils Beste unter den gegebenen inneren und äußeren Bedingungen. Zum eigenen Wohl und dem aller, so weit wie möglich.

Für die Leser*nnen, die sich für buddhistische Konzepte interessieren und die angesprochenen Themen gerne vertiefen wollen, stelle ich im Anhang einige Begriffe und Modelle im Überblick vor und weise auf meine Bücher hin, in denen ich die Themen ausführlicher bespreche, und auf Autor*nnen, die mich bei...