Von einer, die auszog, das Fürchten zu verlernen - Wie ich meine Zwänge, Ängste und Neurosen besiegte. Geschichten aus der Anstalt

von: Hanka Rackwitz

mvg Verlag, 2018

ISBN: 9783961211814 , 192 Seiten

Format: ePUB

Kopierschutz: Wasserzeichen

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Preis: 2,99 EUR

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Von einer, die auszog, das Fürchten zu verlernen - Wie ich meine Zwänge, Ängste und Neurosen besiegte. Geschichten aus der Anstalt


 

3. KAPITEL


HÖHENFLÜGE INS LAND DER KÄNGURUS


Oder: Flugangst war ihr kleinstes Problem

Ich fliege wirklich ungern. Irgendwie bilde ich mir ein, dass die Überlebenschancen bei Transportmitteln, die sich auf dem Land oder zu Wasser bewegen, deutlich besser sind als in einem tonnenschweren Stahlkoloss, der womöglich unrettbar und in einem Affenzahn auf die Erde herabstürzt. Daher greife ich, wann immer es irgendwie möglich ist, zu anderen Verkehrsmitteln, um an mein Ziel zu gelangen. Egal wie viele Erste-Klasse-Flüge man mir anbietet, ich lehne kategorisch ab und verbringe lieber Stunden auf verschiedensten Autobahnen, bevor ich mich in ein Flugzeug setze.

Auch hier war mein Zwang der Logistiker, da ich bei längeren Fahrten in öffentlichen Verkehrsmitteln das alte WC-Problem hatte. Ich mied seit Jahren öffentliche Toiletten oder Räume, in denen man seine Armlehne mit seinem Sitznachbarn teilen musste. Nun ist es leider technisch schwer umsetzbar, Australien ausschließlich über das Festland erreichen zu wollen, denn allerspätestens in Malaysia ist dann Schluss, wenn man nicht wie James Bond von Q mit einem Amphibienauto ausgestattet worden ist. So hüpfte ich denn schlaftrunken und in immer noch mulmiger Stimmungslage auf meinen Sitz im Flieger von Leipzig nach Frankfurt. Man hatte uns eingebläut, dass eine Menge Pressevertreter unterwegs sein würden, um uns abzufangen und uns mit geschickten Fragen geheime, brandheiße Informationen zu entlocken. Also hier in Leipzig war niemand gewesen, kein einziger, sodass ich zwischenzeitlich schon überlegt hatte, die Passanten selber zu fragen, ob sie nicht ein Foto von mir machen wollten.

Hmm, vielleicht war ich bei Versteckte Kamera gelandet und die fliegen ohne mich ab?

Nach meiner Landung in Frankfurt verwarf ich diesen Gedanken, denn da standen sie dann brav aufgereiht und stürzten sich auf uns. Wobei »uns« eigentlich übertrieben ist, denn an diesem Tag waren lediglich Nicole Mieth und ich unterwegs nach Australien. Die Produktionsfirma legte die Flüge der Kandidaten stets zeitversetzt, und das aus zwei nachvollziehbaren Gründen: Erstens musste man sich nicht einen kompletten Satz neuer Stars besorgen, sollte der Flieger tatsächlich abstürzen, und zweitens ist es für die Authentizität der Sendung besser, wenn sich die zukünftigen Camper nicht schon auf dem Weg nach Australien lieben oder hassen gelernt haben. Alles soll frisch unter Einbezug des Zuschauers passieren. Völlig übermüdet und verwirrt stellte ich mich den Fragen der Journalisten.

»Hanka, wovor hast Du am meisten Angst im Dschungel?«

»Wie willst du so psychisch angeschlagen dort überleben?«

»Hast Du eine konkrete Strategie oder Taktik?«

»Warum begleitet Dich eigentlich keiner? Hast Du keine Freunde?«

Alles mehr oder weniger Fragen, die ich mir selbst noch nicht wirklich beantwortet hatte oder von denen ich die Antwort nicht kannte und die ich auch ganz bestimmt nicht morgens früh um acht mit Mikro vor der Nase gestellt bekommen wollte. Zum Glück schirmten uns unsere Betreuer schnell ab, sodass ich diesen Fragen zum Großteil ausweichen konnte.

Beim TV ist es oft so, dass dir bei größeren Formaten zu Beginn der Show persönliche Betreuer zur Verfügung stehen, die dir dann einfach jeden Stress und jede Sorge abnehmen. Hast du Hunger, kriegst du etwas Leckeres zu essen, hast du Durst, bekommst du Champagner, machst du dir Sorgen, wirst du getröstet, willst du schlafen, besorgt dir jemand eine Suite und ist die Sendung vorbei … – kriegst Du einen Arschtritt. An diesem Morgen und mit diesem Hintergrundwissen nahm ich die Dienste der netten Maus allerdings nur allzu gern in Anspruch. Ab jetzt konnten mir Gatenummern und Koffer schnuppe sein und ich konnte kurz in den Diven-Status wechseln.

Mein Koffer wog auf dem Hinflug übrigens nur 14 statt der erlaubten 35 Kilogramm. Mein Zwang bedingte, dass ich nur sehr wenig Kleidung hatte, dazu von echt fragwürdiger Qualität und Preislage, da ich nie wusste, wovor ich wieder Angst bekommen würde und die Angst der Situation dann an der jeweiligen Kleidung hing, die mich aktuell durch den Tag begleitete. Deshalb konnte ich nur sehr preiswerte Kleidung kaufen, da ich viel wegwarf, denn Angst ist ein Gefühl und somit nicht auswaschbar, egal bei welcher Gradzahl. Ich freute mich also auf die Dschungeluniform, denn damit wäre zumindest mein Bekleidungsproblem gelöst.

Nun begann es also mal wieder: das Schein -Promi -Leben, das ich als alter Fernseh-Hase aus vollen Zügen zu genießen gedachte, schließlich war ich mir der Kurzlebigkeit dessen durchaus bewusst. Businesslounge und Erste-Klasse-Flug nach Singapur, ein Einzelsitzplatz am Fenster von der Größe einer Einraumwohnung in Londons Innenstadt und eine komfortable Liegestätte mit möglicher TV-Unterhaltung durch die aktuellen Kinohits. Dazu Champagner und lukullische Leckereien in Dauerschleife, wobei mir letztere allerdings relativ Banane waren, da ich nach vier Stunden Flug solche peinigenden Kopfschmerzen bekam, dass ich die restliche Flugzeit nach Singapur jammernd wie der Geist im Gruselfilm unter meiner hellblauen Bettdecke damit verbrachte, bei den elfengleichen, asiatischen Schönheiten, die sich um unseren Komfort kümmerten, abwechselnd Kopfschmerztabletten und Champagner zu bestellen. Später erfuhr ich dann, dass wohl der Schampus bei dieser Flughöhe die Ursache für mein Kopfhämmern gewesen war. Egal, ich bereute trotzdem nichts, denn das Zeug war umsonst – also rein damit in den Schädel.

Schade war auch, dass wir gegen die Sonne flogen, sodass wir uns die ganze Zeit durch stockfinstere Nacht bewegten. Diese Sachlage ließ den vorangegangenen Kampf um meinen schönen Fensterplatz sinnfrei erscheinen. Hach, da kommt Hanka mal aus ihrer sächsischen Kleinstadt raus und fliegt über Russland, Indien, China, Korea – und nix sieht sie. Ich schaute mir die Äuglein aus dem Kopf, doch mehr als ein paar winzige Lichter konnte ich nicht ausmachen.

Dem aufmerksamen Leser wird sich langsam, aber sicher die berechtigte Frage aufdrängen, wie ich mit meiner psychischen Beeinträchtigung es denn wohl mit der WC-Benutzung im Flugzeug handhabte. Unser Flugzeug war ein riesengroßer Airbus mit zahlreichen Toiletten, die von dem wunderhübschen Elfenvolk ständig hygienemäßig gewartet wurden. Natürlich blieb die Tatsache, dass es trotz allem eine öffentliche Toilette war, die ja nun auch noch von Männchen und Weibchen parallel genutzt wurde; was das Problem für mich noch größer machte. Dieses Problem löste ich so, wie es die meisten Frauen in jedem öffentlichen Verkehrsmittel machen: Ich versuchte, wie ein Seeadler auf Beutejagd über der Klobrille zu schweben und möglichst nirgendwo anzuecken.

Wer auch immer schon einmal in einer Flugzeugtoilette war, weiß, dass das schwieriger ist, als ein Zauberwürfel in vier Sekunden zu lösen. Diese Kabinen sind winzig klein, und ich konnte mich auch nirgendwo festhalten, da am Waschbecken im Flugzeug auch Zähne geputzt und ganz bestimmt auch das ein oder andere Genital geschrubbt worden war. Meine Fantasie schickte mir hier stets im Vorfeld die beeindruckendsten Bilder. Also verabschiedete ich mich innerlich nach dem dritten oder vierten Toilettenbesuch von meinem Reiseoutfit, das für mich dermaßen kontaminiert war, dass es unwiderruflich den Weg alles Irdischen gehen würde, sobald ich wieder festen Boden unter den Füßen hatte.

Und es wurde noch besser. In Folge einer etwas ungeschickten Drehung unter meiner blauen Decke im Flieger flog mir meine Lesebrille in hohem Bogen von der Nase und landete mit elegantem Schwung auf dem Fußboden. Damit war ihr Schicksal leider besiegelt. Sie war dadurch für mich sofort extrem kontaminiert, denn auf dem Fußboden laufen Schuhe. Schuhe waren für mich per Definition gefährlich, denn Schuhe treten in Spucke, auf Zigarettenkippen, leere Trinkbecher und sonstige außerordentlich gefährliche Tretminen. Das wiederum hatte zur Folge, da ich leider seit circa drei Jahren ein kleines bisschen kurzsichtig bin, dass ich während der Hälfte des Fluges die Untertitel der spannenden Hollywood-Streifen auf dem TV-Monitor in meiner Luxusklasse nicht mehr entziffern konnte. Zwar bot mir die Stewardess eine Ersatzbrille eines ehemaligen Passagiers an, der seine Lesebrille mal vergessen hatte, allerdings war das für mich in etwa so abwegig, als hätte sie mir angeboten, eine Brille aus glühendem Eisen aufzusetzen.

Mit den Stunden hatten sich so viele Angst- und Panikmomente an Hose, Slip und Pullover festgesetzt, dass ich mir sicher war, dieses Angstpaket niemals überwinden zu können, aber ich hatte ja keine andere Wahl. Augen zu und durch, die Devise lautete: »Irgendwie durchhalten ohne Panik«.

Im Laufe der Jahre hatte ich erfolgreich gelernt, die Panik quasi zeitlich aufzuschieben und in Angstmomenten gute Miene zum für mich bösen Spiel zu machen. Bei mieten, kaufen, wohnen zum Beispiel hätte es jeden Drehtag gesprengt, wenn ich bei den sogenannten Anlaufbildern zur Immobilie nicht in die Kamera gesehen, sondern den Boden nach jeder Art von Schmutz abgesucht hätte. Ein Vorgang, den ich...