Mein Date mit den Sternen - Blaues Funkeln

von: Bettina Belitz

cbj Kinder- & Jugendbücher, 2018

ISBN: 9783641216146 , 288 Seiten

Format: ePUB

Kopierschutz: frei

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Preis: 9,99 EUR

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Mein Date mit den Sternen - Blaues Funkeln


 

GRUSS VON OBEN

»Du siehst irgendwie anders aus heute Nacht …«

Mit Alkyone sprach ich besonders gerne. Ich wusste zu gut, dass es ein wenig hirnverbrannt war, mit einem Stern zu sprechen, der 400 Lichtjahre entfernt lag, und selbst Horst äugte mich aus seinem halb abgedeckten Käfig skeptisch an, als würde er sich fragen, was zum Teufel ich da draußen nur sah, mit dem es sich zu unterhalten lohnte.

Ich sah Sterne, weit entfernte Lichter, die ich niemals würde betreten können und die in klaren Winternächten flackerten und strahlten, als wären sie lebendig. Für mich waren sie das sogar. Auch das sollte ich besser niemandem erzählen – selbst Maks nicht, der laut unseres Paktes dazu verdonnert war, sich alles anzuhören, was ich von mir gab, ohne mich deshalb aufzuziehen, auszulachen oder zu hänseln. Das taten unsere Klassenkameraden schon zur Genüge, und in unserem Schulalltag musste es wenigstens einen einzigen Menschen geben, der die Pausen nicht dazu nutzte, unsere Bücher in fremden Spinds zu verteilen, unsere Stifte ins Klo zu schmeißen, Zettel mit albernen Beleidigungen auf unsere Rücken zu kleben oder unser Pausenbrot heimlich mit etwas zu bestücken, gegen das wir allergisch waren, um uns später dabei zu filmen, wie wir anschwollen und Ausschläge bekamen.

Zum Glück waren die meisten von ihnen zu schlecht organisiert, um sich zu merken, wer von uns beiden gegen was allergisch war. So war ich bislang erst einmal in der Notaufnahme gelandet und Maks noch gar nicht. Zwar hatte Maks nicht ganz so viele Unverträglichkeiten wie ich, was seine Überlebenschancen jedoch nicht großartig steigerte. Sein Problem war, dass er beim Essen gerne zu kauen oder zu schlucken vergaß und regelmäßig Erstickungsanfälle bekam. Deshalb gab es in unserem Pakt als ersten Punkt eine Klausel, die besagte, dass ich einmal wöchentlich den Heimlich-Griff üben musste, um ihm notfalls das Leben zu retten. An Maks’ Beinahe-Erstickungstoden waren also nicht die anderen schuld, sondern vor allem er selbst. Essen gehörte nicht zu seinen großen Interessen.

Trotzdem war es für unsere Mitschüler (eigentlich sollte es Gegen-Schüler heißen!) jedes Mal ein Freudenfest, wenn Maks in der Mensa keuchend und hustend nach Luft rang, die Tränen aus seinen Augen und der Rotz aus seiner Nase liefen und ich ihn packte und schüttelte, als wolle ich ihn zu einem Ringkampf auffordern. Aber wir lebten noch, das war die Hauptsache, auch wenn unsere schulische Nahrungsaufnahme eine Angelegenheit voller Tücken war. Alleine deshalb sollten wir darüber nachdenken, unseren Pakt nach Beendigung der neunten Klasse zu erneuern.

Noch waren wir im ersten Halbjahr der achten und bei dem Gedanken, dass Maks Pakte zu ernst nahm, um vorzeitig auszusteigen, seufzte ich beruhigt auf.

Im Moment war ich sowieso sicher. Nirgendwo fühlte ich mich wohler und geborgener als in meiner kleinen, feinen Sternwarte auf dem Dachboden und nichts war spannender und zugleich beruhigender als der Nachthimmel im Winter. Während Horst verschlafen begann, mit seinem Schnabel in seinem grauen Papageiengefieder herumzuzupfen, wickelte ich mich noch fester in meine Fleecedecke, trank einen Schluck Hafermilch und schob erneut mein Teleskop an mein linkes Auge.

»Du siehst wirklich anders aus«, murmelte ich verwundert, obwohl schon erste Zweifel an mir und meiner Wahrnehmung nagten. Manchmal wünschte ich mir so sehr, etwas Sensationelles am Himmel zu sehen und es für die Menschheit festhalten zu können, dass ich mir Dinge einzubilden begann. In einer Nacht war ich mir sicher gewesen, ein Ufo gesehen zu haben, obwohl ich mich gar nicht um Ufos scherte. Trotzdem war ich so aufgeregt gewesen, dass ich mit meinem Quieken Horst aufgeschreckt hatte und er kreischend von seiner Stange gefallen war. Leider war es kein Ufo gewesen, das ich gesehen hatte, sondern eine verirrte, leicht angetrunkene Fruchtfliege, die im silbernen Schimmer meines PC-Bildschirmes vor der Linse vorbeigetorkelt war.

Doch das flimmernde Leuchten von Alkyone heute Nacht war etwas anderes als eine Wunschvorstellung. Alkyone war zudem kein Hirngespinst. Man konnte sie mit etwas gutem Willen sogar mit bloßem Auge erkennen. Ihr Name stand in allen Astronomie-Büchern, und schon die alten Griechen hatten sie beobachtet. Für mich war sie die liebste der sieben Plejaden – ein Wort, das mir jedes Mal einen Schauer über den Rücken rieseln ließ, wenn ich es aussprach. Es gab viele faszinierende Sternkolonien, aber die Plejaden waren mein Himmelsparadies. Wenn sie im Frühjahr vom Firmament verschwanden, fehlten sie mir, und ich freute mich auf den Spätsommer wie andere auf Weihnachten, weil ich sie dann endlich wieder sehen konnte.

Prüfend ließ ich meine Augen zu meinem Computerbildschirm wandern, wo die ISS gleichmäßig langsam an der Erde vorbeizog. Nein, auf dem NASA-Livestream war nichts Besonderes zu erkennen, wie fast immer. Auch hatte es in den vergangenen achtundvierzig Stunden keine Sonnenstürme oder Polarlichter gegeben. Das Magnetfeld der Erde blieb ebenfalls stabil. Alles ruhig im All. Zum dritten Mal schob ich das Fernrohr an mein Auge und stellte es noch ein wenig schärfer.

»Was ist nur mit dir los?«

Wie zur Antwort blähte sich das Licht von Alkyone auf, bevor zwischen ihren Plejaden-Schwestern ein Regen von bläulichen Sternschnuppen niederging.

»Heiliger Strohsack!«

Seit dem Gymnasium pflegte ich eine Vorliebe für altmodische Sprüche, aber nie waren sie mir unpassender erschienen als jetzt. Alkyone hatte mir geantwortet! Ein Stern sprach mit mir …

»Jetzt bleib mal schön auf dem Teppich.« Nun redete ich nicht mehr mit fernen Himmelskörpern, sondern mit mir selbst. »Ganz ruhig, Joss.«

Nein, ich konnte nicht ruhig bleiben. Es ging nicht! Mein Herz raste, mir war glühend heiß geworden, obwohl es draußen Minusgrade hatte und das Dachfenster weit offen stand, und ich bereute jeden Schluck Hafermilch, den ich mir einverleibt hatte. Mein Magen schien sich ebenso aufzublähen, wie Alkyone es gerade getan hatte. Hatte sie es denn wirklich oder hatte ich es mir nur eingebildet?

Bevor ich ein viertes Mal durch das Teleskop schauen konnte, rieselte ein neuer Sternschnuppenschauer über den Himmel. Er war so gigantisch, dass ich sein Ausmaß nicht erfassen konnte, und die Lichtspuren bewegten sich direkt auf unser Haus zu. Warum verglühten sie nicht? Sie mussten doch verglühen! Oh nein … Das waren keine Sternschnuppen. Es waren Meteoriten, und zwar eine ganze Schar! Hektisch schlug ich mit der flachen Hand das Fenster zu, obwohl sich kilometergroße Gesteinsbrocken aus dem All für dünne Glasscheiben nicht weiter interessierten, und ließ mich geduckt zu Boden fallen.

Geschah es jetzt etwa – das Ende der Welt, von dem so viele schlechte Fernseh-Dokus schwadronierten und dabei in allen Facetten aufzeigten, was mit uns Menschen und der Erde passieren würde? Ja, das musste es sein – ich vernahm bereits das dumpfe Rauschen der nahenden Meteoriten und dazu das Knistern von Feuer … gleich würde die Erde erzittern und das Haus in Flammen aufgehen … wir alle würden sterben …

»Verdammt, das ist zu früh!«, wimmerte ich und stopfte mir die Finger in die Ohren, weil ich nicht hören wollte, was in den nächsten Sekunden meine Familie und mich vernichten würde. Mein Leben war nicht allzu lustig gewesen, doch ich mochte es, und vor allem hatte ich keine Lust, von dem gekillt zu werden, was meine größte Leidenschaft gewesen war. Ich liebte meine Sterne, und jetzt sollte ich ausgerechnet von Sternenbrocken ausgelöscht werden? Das war nicht fair und außerdem sollte man mit vierzehn noch nicht sterben! Nicht, bevor man sich das erste Mal verliebt und das nächstbessere Teleskop zum Geburtstag bekommen hatte. »Scheiße …«, wimmerte ich und sehnte mich plötzlich so sehr nach Mama und Papa und Sam, dass ich aufheulte wie ein Baby. Ich würde nicht mal mehr genügend Zeit haben, um nach unten zu laufen und mich von ihnen zu verabschieden …

»Keine Angst, Menschenkind.«

»Wie bitte?«, keuchte ich verwirrt und schob meine Zeigefinger noch fester in meine Ohren. Wer oder was hatte da gerade mit mir gesprochen? Wieso konnte ich es hören, wo ich doch meinen Gehörgang so fest verstopfte, dass ich Ohrenschmerzen bekam? Und warum sah ich plötzlich grelles Licht hinter meinen geschlossenen Lidern?

»Keine Angst.«

»Ich bin tot, oder?«, hakte ich piepsig nach, denn diese Stimme in meinem Kopf und das grelle Licht konnten nur von Gott kommen – an den ich eigentlich nicht glaubte. Aber ich brauchte dringend Antworten.

»Es gibt keinen Tod, Menschenkind.«

»Aha«, machte ich verständnislos und lockerte meine Finger ein wenig, während ich versuchte, mich daran zu erinnern, ob ich meine Hafermilch in der Schule unbeaufsichtigt hatte stehen lassen. Möglicherweise hatte einer der dicken Jungs (so nannten Maks und ich unsere Peiniger) Erdnusscreme hineingerührt. Erdnüsse konnten bei mir durchaus zu halluzinatorischen Wahrnehmungen führen – und wenn ich nur halluzinierte, konnte mir nichts passieren. Dann war das, was ich sah und hörte, gar nicht echt. Alkyone hatte sich nicht aufgebläht und mir auch keine Meteoriten geschickt und ich würde nicht sterben – jedenfalls nicht sofort. Ich würde nur ein aufgedunsenes Gesicht und ein wenig Atemnot bekommen und morgen den ganzen Tag auf dem Klo verbringen, aber nicht sterben. So stark war meine Erdnuss-Allergie nicht. Also alles gut. Mutig stemmte ich mich hoch und öffnete meine Augen.

»Heilige Schei … Heiliger Bimbam«, verbesserte ich mich ehrfürchtig. Direkt vor der Dachluke kreiste eine hellblaue, von sieben...