Die Geschichte von Adam und Eva - Der mächtigste Mythos der Menschheit

von: Stephen Greenblatt

Siedler, 2018

ISBN: 9783641159719 , 448 Seiten

Format: ePUB

Kopierschutz: frei

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Preis: 9,99 EUR

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Die Geschichte von Adam und Eva - Der mächtigste Mythos der Menschheit


 

KAPITEL ZWEI

AN DEN WASSERN ZU BABEL

AUF DER GRÖSSTEN INSEL der Hawaii-Kette dringt geschmolzene Lava aus den Vulkanspalten. Man kann durch die schwarzen Felder abgekühlter Lava bis zum Rand der Klippe gehen und sieht von dort, wie sich geschmolzene Lava aus einer Quelle Bahn bricht, eine gewaltige Geburt, sieht, wie diese Lava zischend ins Meer stiebt. Man kann sich dort durchaus so fühlen, als wohne man dem Ursprung der Welt bei, wobei die Welt natürlich längst da ist, was man ja weiß. Niemand aber, und das ist der Knackpunkt der Schöpfungsgeschichten, kann behaupten, er oder sie sei dabei gewesen, könne sich daran erinnern, sei vielleicht auch nur ein Glied in einer Kette von Erinnerungen, die zu irgendwem zurückführt, der oder die dabei gewesen ist.

Wir können nicht wissen, wann sich jemand darangemacht hat, sich auszumalen, wie das Universum und die Menschen entstanden sind, wann eine erste Geschichte erzählt wurde vom uranfänglichen Geschehen, das unsere Spezies auf den Weg gebracht hat. Wir können die Person nicht ausmachen, die sich als erste den Garten vorgestellt hat, die geträumt hat von Nacktheit ohne Scham, der die Sache mit der verbotenen Frucht einfiel. Es muss, das wissen wir, einen Augenblick der Inspiration gegeben haben, aber wir wissen nicht, wie wir den Weg dorthin zurückfinden könnten. Dieser Augenblick ist verloren, endgültig.

Auch einen weiteren definitiven Augenblick muss es gegeben haben, den nämlich, in dem sich irgendwer entschloss, diese Geschichte aufzuschreiben. Auch dazu haben wir keinen Zugang, niemals werden wir wissen, ob der Schreiber ein Mann war oder eine Frau; wir haben keinen eindeutigen Hinweis auf den Ort oder die Begleitumstände oder die Sprache, haben keinen präzisen, nicht einmal einen näherungsweisen Anhaltspunkt für die Zeit. Einige Gelehrte glauben, eine Version könnte schon früh entstanden sein, etwa zur Zeit des Königs Salomon (990–931 v. u. Z.), weitere Versionen könnten in schriftlicher Form in der Regierungszeit seiner Nachfolger zirkuliert sein. Weil aus diesen langen Jahrhunderten im Leben der Juden keinerlei Manuskripte, nicht einmal deren Spuren erhalten sind – alle sind zerstört, von Feuer, von Wasserfluten, vom Zahn der Zeit –, ist jede Datierung spekulativ, manche sogar wilde Spekulation. Am nächsten kommen wir einem Startpunkt, wenn wir nach dem Augenblick suchen, in dem die Erzählung schließlich Eingang fand ins Buch Genesis. Wobei auch da der präzise Zeitpunkt, die Umstände unklar bleiben, doch der Nebel um dieses Rätsel hebt sich zumindest ein wenig.

Die meisten Bibelforscher schreiben die Form, in der wir die Erzählung kennen, dem 6. Jahrhundert v. u. Z. zu; sie gehen davon aus, dass der Pentateuch – die griechische Bezeichnung für die fünf Bücher Mose – wohl im 5. Jahrhundert v. u. Z. zusammengestellt wurde, was etwa der Zeit der Propheten Esra und Nehemia entspräche. Doch selbst hier bewegen wir uns auf unsicherem Grund. Um jeden Zentimeter Textgeschichte wurde gerungen, zumindest seit dem 18. Jahrhundert; darum wird alles, was ich sage, wie auch das, was andere sagen, die sich besser auskennen in diesen Fragen, von dritten bestritten werden, manchmal durchaus heftig. Ganz unabhängig von ihren fernen Anfängen, wurde die Erzählung von Adam und Eva irgendwann Teil eines heiligen Dokuments, der Tora, deren Autor Moses gewesen sein soll. Immerhin hat man damit einen Autor benannt und es gab jemanden von allerhöchstem Ansehen, der die Wahrheit des Berichts verbürgen konnte. Nun gab es Menschen, die sich durchaus zu Recht fragten, wie denn Moses habe wissen können, was im Garten Eden vor sich ging, so lange vor seiner Zeit. Er habe, so antworteten die Verfechter der strikten Wahrheit des Berichts, die Einzelheiten erfahren können, insofern diese weitergetragen wurden alle Generationen hindurch, bis zu Noah und noch weiter zurück in die Zeit vor der Sintflut, bis zu Seth, Adams drittem Sohn. Das biblische »zeugte« liefere doch die Aufzählung dieser Generationen bis zum Beginn aller Zeiten. Die außerordentlich langen Lebenszeiten, die den frühen Patriarchen zugeschrieben wurden – Methusalem etwa soll das stolze Alter von 969 Jahren erreicht haben –, kamen dem entgegen, so nämlich reduzierte sich die Zahl der Kettenglieder.

Weil nun bekannt war, dass sich Erzählungen durchaus verändern, wenn sie wiederholt weitererzählt werden, wurde oft hinzugefügt, dass Moses die Texte nach Gottes Diktat niedergeschrieben habe, beim Schreiben zumindest geleitet wurde vom Geist Gottes. Und auf diesen war Verlass, er würde alle Irrtümer, die sich womöglich einschleichen und die Wahrheit der Schöpfungsgeschichte hätten verfälschen können, korrigiert haben. Eine Schrift, die im 2. Jahrhundert v. u. Z. entstanden ist, das Buch der Jubiläen, ging noch einen Schritt weiter im Versuch, die Authentizität der Erzählung abzusichern. Auf dem Berg Sinai, heißt es in diesem Buch, habe Gott einen Engel angewiesen, Mose einen wahren Bericht der ersten Anfänge zu geben.1 Der Engel und seine Heerscharen waren Zeugen bei der Erschaffung der Welt und bei dem, was im Garten geschah. Mose hatte also nur den unfehlbar wahren Bericht wiederzugeben, den ihm der Engel pflichtschuldig lieferte.

Doch Darstellungen wie im Buch der Jubiläen – das heute allein von der Orthodoxen Kirche Äthiopiens als kanonisch betrachtet wird – sind Rückversicherungen und insofern also wieder Zeichen des Zweifels. Zumindest einige, die den Bericht vom Garten Eden, von den ersten Menschen und der sprechenden Schlange lasen, werden nach der Zuverlässigkeit des Berichts gefragt haben. Sie hätten gerne gewusst, wie weit sie diesem trauen konnten; womöglich ahnten sie, eher am Rand des verzückten Zirkels der Gläubigen stehend, dass er seinen Ursprung ebenso gut in einem vertrauteren Szenarium des Geschichtenerzählens haben könnte: im Reich der Phantasie.

Die Tora hätte ihren Ausgang schließlich auch an einem historischen Zeitpunkt nehmen können, der weitaus einleuchtender gewesen wäre und sicherer: dort nämlich, wo es nicht um die ersten Menschen, sondern um die ersten Juden ging.

Und der HERR sprach zu Abram: Geh aus deinem Vaterland und von deiner Verwandtschaft und aus deines Vaters Haus in ein Land, das ich dir zeigen werde. Und ich will dich zum großen Volk machen und will dich segnen und dir einen großen Namen machen, und du sollst ein Segen sein. (Gen 12,1–2)2

Der biblische Bericht indes begann mit Ereignissen, die eindeutig vor jedem denkbaren historischen Bericht liegen: mit der Schöpfung des Kosmos und der Menschen. Will man verstehen, warum es den Juden so entscheidend schien, ihr heiliges Buch mit dem Anfang aller Zeiten beginnen zu lassen, also bevor es Juden gab, muss man sich das Unheil vor Augen führen, das über sie hereingebrochen war.

IN DER ANTIKEN WELT folgte auf Niederlage und Sturz eines Königreichs häufig das vollständige Ausmerzen der Unterlegenen. Nebukadnezar II. jedoch, Herrscher über das große Babylonische Reich, erschienen Deportationen sinnvoller. Im Jahr 597 v. u. Z., nachdem sich das kleine Königreich Juda, das von einer altehrwürdigen Dynastie, die sich selbst »das Haus Davids« nannte, regiert wurde, den babylonischen Armeen ergeben hatte, setzte Nebukadnezar in Jerusalem eine Marionettenregierung ein und ließ eine beträchtliche Zahl von Hebräern nach Babylon deportieren, darunter auch den gestürzten König und dessen Familie. Über eine große Zeitspanne hinweg gelingt es Psalm 137, deren Elend, Heimweh und Zorn festzuhalten: »An den Wassern zu Babel, da saßen wir, / saßen und weinten, / wenn wir an Zion dachten.«3

Die im Exil lebenden Hebräer, Zeugen des letzten Siegs von Nebukadnezar, vergrößerten das Reservoir an Arbeitern, die der König für seine ehrgeizigen Projekte benötigte. Damals befanden sich Babylon und das Reich nach einer langen Phase des Niedergangs wieder im Aufstieg. Bewässerungskanäle waren zu graben, Felder zu bestellen, Weingärten zu pflegen, Unmengen Ziegel zu brennen, um damit Festungen, Tempeltürme und Paläste zu bauen. Hebräer waren nicht die einzigen Exilierten, die in den Arbeiterkolonnen schwitzten und von der verlorenen Heimat träumten. Sie schufteten Seite an Seite mit Assyrern, Medern, Skythen und Ägyptern, aber auch mit Babyloniern, die hoffnungslos verschuldet waren. Mittels Unterwerfung und Versklavung schuf sich Babylon ein kosmopolitisches Arbeiterheer.

Die geschäftigen, kulturell vielfältigen Städte am Euphrat waren reich, elegant und wegen ihrer Schönheit berühmt. Zwei der legendären Bauwerke – die gewaltigen Stadtmauern und die Hängenden Gärten4 – zählten zu den sieben Weltwundern. Mit der Pracht seiner glasierten Ziegel zeugt das berühmte Ischtar-Tor von Glanz und Würde der Stadt; heute befindet es sich rekonstruiert im Pergamonmuseum auf der Berliner Museumsinsel. Man kann gewiss nicht erwarten, dass sich die Hebräer in Babylon heimisch fühlten, doch waren sie auch keine völlig Fremden, denn eigentlich, so glaubten sie, waren sie in ferner Vergangenheit aus diesem Teil Mesopotamiens gekommen. Abraham, der Gründungsvater des jüdischen Glaubens, wurde im nahen Ur geboren, und dass sie nun zu diesen Wurzeln zurückgekehrt waren, fanden offensichtlich nicht alle Hebräer unerträglich: Als es ihnen schließlich erlaubt wurde, nach Juda zurückzukehren, entschied sich eine beträchtliche Zahl von ihnen zu bleiben, wo sie waren. Seit der Zeit des Exils blühte in...