Das wunderbare Wollparadies - Roman

von: Manuela Inusa

Blanvalet, 2018

ISBN: 9783641225766 , 368 Seiten

Format: ePUB

Kopierschutz: frei

Mac OSX,Windows PC für alle DRM-fähigen eReader Apple iPad, Android Tablet PC's Apple iPod touch, iPhone und Android Smartphones

Preis: 8,99 EUR

eBook anfordern eBook anfordern

Mehr zum Inhalt

Das wunderbare Wollparadies - Roman


 

KAPITEL 1

Mit einem breiten Lächeln im Gesicht schloss Susan ihren Laden auf. Sofort strömte ihr der Geruch von getrockneten Orangenscheiben und Zimtstangen entgegen, die sie in Schalen überall im Geschäft aufgestellt hatte. An der Decke hingen festliche Girlanden, im Schaufenster standen ein Weihnachtsmann und Rentierfiguren. Ja, sie musste gestehen, sie liebte Weihnachten mit all dem Kitsch, den man zu dieser Zeit des Jahres in den großen Kaufhäusern der Umgebung fand. Erst am Tag zuvor hatte sie, sosehr es ihr auch widerstrebte, bei der Konkurrenz einzukaufen, mit Begeisterung die wundervollen Schaufensterdekorationen entlang der Cornmarket Street angesehen. Glücklicherweise verirrten sich oft genug Leute zu ihnen in die Valerie Lane, die von der Hauptstraße abging, und besonders das Weihnachtsgeschäft lief jedes Jahr so gut, dass Susan sich die folgenden Monate kaum Sorgen um ihre Finanzen zu machen brauchte.

Sie alle hier in der Valerie Lane liebten ihre kleine Straße, die gemütlichen Lädchen und die besondere Atmosphäre, die alles umgab. Manchmal kam es Susan so vor, als wäre Valerie mit ihrer guten Seele noch immer anwesend. Und dann dachte sie, besonders zur Weihnachtszeit, in der man doch tatsächlich noch an Engel glauben konnte, dass sie vielleicht sogar vom Himmel aus auf sie alle heruntersah und ihnen ihren Segen gab.

»Susan!«, hörte sie jemanden rufen.

Sie blickte sich um und sah Tobin auf sich zukommen. Er führte nebenan den Blumenladen Emily’s Flowers, den er nach seiner Grandma, die stille Teilhaberin war, benannt hatte. Tobin war erst seit einem Dreivierteljahr in der Valerie Lane, der Neuzugang unter ihnen, doch sie alle hatten ihn bereits ins Herz geschlossen. Er war ein echter Freund geworden, immer für andere da und immer mit einem Lächeln auf den Lippen. Ja, er passte gut in die Valerie Lane, das dachte Susan in letzter Zeit sehr oft.

Sie ließ ihren Hund Terry, mit dem sie gerade einen kleinen Spaziergang unternommen hatte, von der Leine und wandte sich an Tobin, der mit seinem blonden Haar, der Stupsnase und dem spitzbübischen Lächeln nicht annähernd wie dreißig aussah.

»Guten Morgen, Tobin. Wie geht’s dir?«

»Prima, danke. Und dir?«

»Sehr gut. Ich erfreue mich an der Kälte und hoffe, dass wir endlich mal wieder weiße Weihnachten haben werden.«

»Na ja, es sind zweieinhalb Wochen bis Weihnachten, das Wetter kann sich noch ändern.«

»Nun nimm mir doch nicht meine Illusionen«, sagte Susan und lachte. »Sag mal, bleibt es bei unserer Verabredung?« Sie hatten abgemacht, in dieser Woche zusammen auf den Weihnachtsmarkt zu gehen.

»Ja, natürlich. Das wollte ich auch dich fragen. Wann hast du Zeit?«

Sie musste kurz überlegen. Es war Mittwoch, da traf sie sich immer abends mit ihren Freundinnen. »Wie wäre es mit morgen?«, schlug sie vor.

»Perfekt. Der Weihnachtsmarkt in der Broad Street eröffnet morgen, da haben wir es nicht weit.«

»Perfekt«, stimmte Susan zu.

»Gleich nach Ladenschluss?«, fragte Tobin lächelnd.

»Von mir aus gerne. Ich muss dann nur noch kurz mit Terry Gassi gehen und ihm sein Futter geben.«

»Warum nimmst du ihn nicht einfach mit?«, fragte Tobin, ging in die Knie und streichelte sein Fell.

»Es würde dir nichts ausmachen?«

»Ach, warum denn? Ich mag den kleinen Racker.«

»Hmmm …« Susan überlegte. »Auf diesen Weihnachtsmärkten ist es immer so voll, ich hab ein bisschen Angst, dass man meinen Kleinen niedertrampelt. Gehen wir besser ohne ihn, ja?«

»Wie du willst.« Tobin kraulte Terry hinter den Ohren und lachte. »Du hast ja einen hübschen Pulli an, mein Freund.«

»Hab ich selbst gestrickt«, informierte ihn Susan.

»Das hätte ich mir beinahe gedacht.« Er grinste. »Da sind ja Schneemänner drauf.«

»Wenn du willst, bekommst du auch so einen. Zu Weihnachten.«

Tobin verzog das Gesicht. »So gern ich den Winter mag, trage ich doch lieber schlichte Pullover. Aber Laurie kannst du bestimmt eine Freude mit so was machen. Die hab ich gestern in einem riesigen roten Kleid mit Sternen und Glitzer gesehen.«

Laurie, die Inhaberin des Teeladens, war im neunten Monat schwanger. Ende des Jahres sollte ihr erstes Baby zur Welt kommen, und sie und ihr Mann Barry, der außerdem ihr Teehändler war, freuten sich wie verrückt.

»Da wüsste ich aber gar nicht, ob ich ihn in Übergröße machen soll oder lieber schon fürs nächste Jahr.«

»Am besten ein paar Nummern kleiner. Kommt das Baby nicht bald?«

Susan nickte. »Gleich nach Weihnachten. Am 30. Dezember ist Stichtag.«

»Vielleicht wird es ja ein Christkind.«

»Wäre das nicht schön?« Susan strahlte, denn sie freute sich so unglaublich für ihre Freundin, die ihr Glück gefunden hatte.

»Du stehst wirklich auf Weihnachten, oder?«, fragte Tobin jetzt.

»Ich liebe Weihnachten über alles.« Immerhin waren da viele gute Dinge geschehen, so hatte sie zum Beispiel ihren Laden in der Vorweihnachtszeit eröffnet.

»Na gut, dann bis morgen Abend. Ich freu mich.«

Susan freute sich auch. Sie fand es einfach schön, mit einem Mann befreundet zu sein, von dem sie nichts zu befürchten hatte, da er ganz offensichtlich Gefühle für eine andere hegte. Tobin und Susan hatten sich in den letzten Monaten angefreundet und unternahmen öfter was zusammen. Natürlich achtete sie darauf, dass sie dennoch genügend Zeit für ihre Freundinnen hatte. Das waren neben Laurie aus dem Teeladen noch Ruby aus dem Antiquariat, Keira aus der Chocolaterie und Orchid aus dem Geschenkartikelladen. In Letztere war Tobin hoffnungslos verliebt, selbst wenn er es niemals zugegeben hätte, denn Orchid war seit Jahren in festen Händen. Allerdings spürte Susan jedes Mal, wenn die beiden aufeinandertrafen, eine gewisse Spannung, wie sie nur Verliebten zu eigen war, und die war wohl auch der Grund, weshalb Tobin nicht sehr häufig an ihren Mittwochabendtreffen teilnahm.

Sie hatten diese wunderbare Tradition, die Valerie Bonham eingeführt hatte, übernommen, und trafen sich jeden Mittwoch nach Ladenschluss in Laurie’s Tea Corner, wo jeder willkommen war, der ein offenes Ohr, eine Schulter zum Anlehnen, einen guten Ratschlag oder einfach eine Tasse Tee brauchte. Susan hätte für nichts auf der Welt auf diese Treffen verzichtet. Ein Leben ohne ihre Freundinnen konnte sie sich gar nicht mehr vorstellen. Sie war glücklich und dankbar, dass sie sie hatte.

»Komm doch heute Abend mal wieder in der Tea Corner vorbei«, sagte sie zu Tobin.

»Das geht nicht, ich habe nämlich ein Date.«

»Oh, ehrlich? Mit wem?«

»Mit Christine, du weißt schon, das ist die Krankenschwester, die über Rubys Laden wohnt.«

»Tatsächlich?«

Susan war überrascht. Denn Christine war mit ihren schwarzen Haaren und der eher molligen Figur so ein ganz anderer Typ als Orchid.

»Ja. Ich habe mir gestern beim Blumenbinden ziemlich tief in den Finger geschnitten und musste zum Arzt.« Er hob eine Hand hoch, und erst jetzt sah sie den Verband.

»Oje, du Armer. Ich hoffe, es ist nicht allzu schlimm?«

»Es musste genäht werden. Ja, und rate mal, wer mein Wehwehchen verbunden hat!«

»Christine?«

Er grinste. »Genau. Sie hat mich um ein Date gebeten. Ich dachte mir, warum nicht? Und nun gehen wir essen.«

Susan sagte ihrem Gegenüber nicht, dass er sich das Date auch sparen konnte, da sowieso nicht mehr daraus werden würde – da war sie sich einfach sicher. Aber hey, warum nicht nett essen gehen?

»Dann wünsche ich dir viel Spaß. Mit Christine.«

»Danke. Und ich wünsche dir einen geschäftigen Tag.«

Sie lächelte und sah Tobin hinterher, dann endlich betrat auch sie ihren Laden. Terry machte es sich sogleich in seiner Kuschelecke bequem, und Susan nahm sich ein paar Wollknäuel aus den vielen Regalfächern, in denen sie farblich sortiert untergebracht waren. Sie hatte soeben beschlossen, Tobin dennoch einen Pullover zu Weihnachten zu schenken. Wenn er keine Schneemänner mochte, würde der eben ganz schlicht ausfallen. Blau war eine Farbe, die ihm gut stand, sie passte perfekt zu seinen warmen Augen.

Um Punkt zwölf machte Susan wie jeden Tag Mittagspause. Sie nahm Terry mit, der sich gleich an seinem Lieblingsbaum erleichterte, und kaufte sich ein indisches Curry, das sie im Laden essen wollte. Denn sie schloss ihre Tür zwar jeden Mittag ab, blieb aber nie länger als eine Viertelstunde weg. Ihre Kunden wussten und schätzten das.

Als sie wieder in die Valerie Lane einbog, war Susan plötzlich nach einer guten heißen Tasse Tee. Deshalb machte sie noch einen kurzen Halt bei Laurie.

»Hallo, meine Liebe«, begrüßte ihre Freundin sie. Ihre Wangen passten farblich beinahe zu ihrem langen kirschroten Haar, so rosig waren sie. »Was kann ich dir Gutes tun?«

Susan staunte. Jedes Mal, wenn sie Laurie sah, kam ihr diese noch ein wenig runder vor. »Was kannst du mir empfehlen?«

»Wie ich sehe, hast du dir gerade etwas zu essen geholt?« Sie deutete auf die weiße Papiertüte in Susans Hand.

»Ich habe mir ein Gemüsecurry beim Inder gekauft.«

»Hmmm …«, machte Laurie und ließ den Blick über die Teedosen gleiten, die auf der Theke standen. Das waren die Sorten, die sie ausschenkte. In etlichen Regalen und einer alten Kommode, deren Schubladen offen standen, hatte sie all die Tees ausgestellt, die sie zum Verkauf anbot. Es waren unglaublich viele, sie...