Das Geheimnis der Porzellanmalerin - Historischer Roman

von: Birgit Jasmund

Aufbau Verlag, 2017

ISBN: 9783841214195 , 448 Seiten

2. Auflage

Format: ePUB

Kopierschutz: Wasserzeichen

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Preis: 8,99 EUR

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Das Geheimnis der Porzellanmalerin - Historischer Roman


 

Zwei


Die Tür zu Geraldines Kammer war kaum geschlossen, da stemmte die Teuchertin die Hände in die Hüften und funkelte ihren Gatten an. »Können Sie mir verraten, was das werden soll? Dieser dahergelaufenen Fremden haben wir nicht nur ein köstliches Abendessen serviert, nein, sie liegt auch noch in unserem Haus und schläft den Schlaf der Gerechten, als hätten wir sie als Tochter angenommen. Ist das Ihr Plan? Soll ich auf diese Weise zu der Tochter kommen, die unser himmlischer Herr mir nicht vergönnt hat? Dazu muss ich Ihnen sagen …«

»Nicht so laut!« Teuchert legte eine Hand an die Lippen. »Sie könnte uns hören.« Er ergriff den Ellenbogen seiner Frau und drängte sie in den Salon neben dem Esszimmer. Erst nachdem er sorgfältig die Tür geschlossen hatte, sprach er weiter: »Sie wird dabei helfen, unsere Probleme zu lösen.«

»Sie meinen, Ihre Probleme«, polterte die Teuchertin und stemmte erneut die Hände in die Hüften. Ihre Schnürbrust engte sie ein und zwang sie zu kurzen, schnellen Atemzügen, verhinderte, dass sie ihren Mann so herunterputzte, wie sie es eigentlich wollte. »Wir könnten bequem und sorgenfrei leben. Ach was, wir haben bequem und sorgenfrei gelebt, bis vor einem Jahr dieser Dämon in Sie gefahren ist.«

»Schimpfen Sie auch auf den, der die Karten erfunden hat?«

»Das würde ich, stände er vor mir.« Sie holte so tief Luft, wie es ihr möglich war. »Ich kann Ihnen nur sagen, schlagen Sie sich das aus dem Kopf. Diese Person wird gleich morgen das Haus wieder verlassen. Schlimm genug, dass wir sie eine Nacht beherbergen! Ein dahergelaufenes Frauenzimmer aus der Fremde! Über ihren Ruf möchte ich mir lieber keine Gedanken machen.«

»Sie wird Kleinschmidt ersetzen.«

»Die?«

»Sie ist Malerin.« Teuchert hatte das Vergnügen, seine Frau verblüfft zu sehen. »Ich habe einen Blick auf ihre Zeichnungen werfen können.«

»Jemand, der zeichnen kann, wird Ihre Probleme nicht lösen.«

»Sie wird lernen, was nötig ist. Höroldt war beeindruckt von ihr. Das habe ich gesehen, auch wenn er sie tüchtig heruntergeputzt hat. Sie wird unsere Sorgen beseitigen und unsere Träume erfüllen.«

»Sie ist und bleibt eine Fremde, eine Zigeunerin, so dunkel wie sie ist.«

»Eine Malerin! Hören Sie mir zu, meine Liebe …«

»Sie hören mir zu! Was ist mit unseren Träumen? Davon sind wir weiter entfernt als je zuvor. Ein Gut auf dem Land wollten wir kaufen. Dessen Früchte wollten wir genießen, ein gastfreundliches Haus führen. Sehen Sie uns an!«

Seine Frau musste Luft holen, und das gab Teuchert die Gelegenheit zu einer Erwiderung: »Es gibt gewisse Dinge, denen man als Mann nicht abgeneigt sein darf. Dazu gehört es, ein Kartenspiel nicht abzulehnen. Ein glücklicher Abend, und Ihr Traum von einem Bauerngut wird erfüllt.«

»Das haben Sie mir schon vor einem Jahr versprochen.«

»Es wird gelingen. Sie werden sehen. Hätten Sie nicht versucht, den armen Kleinschmidt festzuhalten, wäre er nie so kopflos aus dem Haus gestürmt und unter die Räder einer Kutsche geraten.«

Die Teuchertin presste die Lippen zu einem schmalen Strich zusammen. Christoph Balthasar Kleinschmidt war einer der jungen, schlecht bezahlten Maler der Manufaktur gewesen und hatte sich nach Feierabend bei ihnen ein Zubrot verdient, bis im Februar etliche Maler wegen verbotener Hausmalerei abgemahnt wurden. Einige wurden sogar arretiert, andere aus den Diensten der Manufaktur entlassen. Kleinschmidt war nicht unter ihnen gewesen, aber die Angelegenheit hatte ihn gehörig in Unruhe versetzt. An einem Dienstag vor vierzehn Tagen war er zu ihnen gekommen. Sein frisches junges Gesicht hatte im Schein einer Laterne geglänzt.

»Frau Teuchertin«, hatte er gesagt, »ich kann nicht länger für Sie und Ihren Mann arbeiten. Ich bin nur gekommen, um Ihnen das zu sagen.« Selbst seine Stimme klang jung und unschuldig.

»Sie sind eine Verpflichtung eingegangen. Die können Sie nicht einfach aufkündigen. Und in der Manufaktur schuften Sie für einen Hungerlohn. Drei Taler in der Woche? Damit werden Sie nie Ihre Liebste heiraten und eine Familie gründen können.«

»Ich kann nicht länger kommen. Sie haben doch gehört, was in der Manufaktur geschehen ist. Ihr Mann wird es Ihnen berichtet haben.«

»Was sollte man in der Manufaktur dagegen haben, wenn Sie nach der Arbeit unser Haus aufsuchen, um uns ein bisschen Gesellschaft beim Abendessen zu leisten und uns an Ihrem Talent teilhaben zu lassen?«

»So wie Sie es sagen, nichts, Frau Teuchertin. Aber das ist nicht die ganze Wahrheit. Sie wissen es.« Der junge Mann drehte verlegen seine Filzkappe in den Händen.

Hinter Kleinschmidt erblickte die Teuchertin ihren Mann, der eben von der Arbeit kam, das Gartentürchen durchschritt und in wenigen Sekunden im Haus sein würde. Sie überlegte blitzschnell, wie sie die Situation retten und Kleinschmidt überreden konnte.

Beherzt griff sie zu und wollte ihn am Arm packen. »Kommen Sie doch erst einmal herein, und wir sprechen in Ruhe über alles. Nach einem guten Essen und einem Glas Wein sieht alles schon wieder anders aus.«

»Nein! Lassen Sie mich!«

Er wollte ihr den Arm entziehen, sie ihn festhalten. Aber Kleinschmidt war ein kräftiger junger Mann und befreite sich von ihr. Er drehte sich um, rannte davon, stieß dabei beinahe gegen ihren Mann, und lief auf die Straße hinaus. Dass in diesem Moment ein Fuhrwerk vorbeikam, war reines Pech. Kleinschmidt geriet erst unter die Hufe der beiden Pferde, dann unter die Räder. Die Tiere erschraken und bäumten sich auf. Der Kutscher hatte alle Mühe, sie in der Gewalt zu behalten. Als sie endlich ruhig standen, lag Kleinschmidt mit verrenkten Gliedern halb unter dem Wagen.

Im ersten Moment hatte die Teuchertin gedacht, er wäre tot. Dann hatte er sich schwach bewegt und war auf einer alten Tür in die Wohnung seiner Eltern getragen worden. Ein Chirurgus kam und richtete die gebrochenen Knochen. Beide Arme und ein Bein hatte es erwischt. Gegenwärtig sah es so aus, als könnte Kleinschmidt die rechte Hand nie wieder richtig bewegen. Der Chirurgus hatte ihm kaum Hoffnung gemacht. Zwar könne er ihm das Handgelenk noch einmal brechen, damit es besser … Von dieser Rosskur hatten weder der Patient noch dessen Eltern etwas hören wollen.

Hatte der junge Mann sich nicht erst richtig erschrocken, als er Teuchert am Gartentor gewahr geworden war? Die Teuchertin glaubte, ein Zusammenzucken gesehen zu haben.

Es änderte nichts daran, dass er nie wieder kam, um für sie zu malen, dass er überhaupt nie wieder malen würde. Und dass sie dringend jemand anderes brauchten. Aber eine heimatlose Zigeunerin? War es nicht eine Zumutung, so eine Person im Haus zu haben? Es wäre nicht die erste Zumutung, die Teuchert ihr bereitete – und mit Sicherheit nicht die letzte.

Sie hatte keine Wahl. Als Frauensperson hatte sie nie eine gehabt. Sie nickte mit einem Gesichtsausdruck, als hätte sie rohen Zwiebelsaft getrunken.

»Sehr gut, Frau. Dann ist es abgemacht. Wir werden diesem jungen Ding morgen zeigen, was es zu tun hat. In wenigen Wochen sind wir aus dem Schneider. Danach gehen wir daran, für das von Ihnen gewünschte Bauerngut zu arbeiten. Kopf hoch, meine Liebe.« Teuchert griff seiner Frau unter das Kinn. Einen Moment lang sah es so aus, als wollte er ihr einen Kuss auf die Lippen geben. Schnell drehte sie den Kopf weg. Nachdem er seine Hand von ihrem Kinn genommen hatte, stieß sie die angehaltene Luft aus.

Ohne ein weiteres Wort befreite die Teuchertin Mops Otto aus der Abstellkammer im Erdgeschoss und begab sich in ihr Schlafzimmer. In Gedanken pries sie den Luxus getrennter Räume, damit sie den Mann nicht auch noch des Nachts in ihrer Nähe ertragen musste.

Teuchert sah ihr nicht nach, er wühlte in Gedanken mit den Händen in einem Berg Taler.

In der Meißner Unterstadt in der Nähe des Elbehafens hockte an diesem kühlen Märzmorgen die junge Hausfrau und Mutter Johanna Schneider vor dem Ofen im einzig beheizbaren Zimmer der Familie. Sie wollte auf das winzige noch vorhandene Glutnest blasen, um das Feuer in Gang zu setzen. In der Stube war es nur wenig wärmer als draußen, und die junge Frau trug ihre gesamten Röcke, Hemden, Schals und Tücher übereinander. Dennoch saß ihr eine Kälte in den Knochen, die sich anfühlte, als wollte sie sie nie wieder verlassen. Sie hustete ohne Unterlass, deshalb gelang es ihr auch nicht, das Feuer in Gang zu bringen. Es drohte auszugehen.

Janne schnappte nach Luft und versuchte, den Husten für einen Moment zu unterdrücken. Obwohl der Tag noch nicht begonnen hatte, fühlte sie sich bereits so erschöpft, als hätte sie mehr als zwölf Stunden gearbeitet. Doch das stand ihr erst noch bevor.

Aus der Nachbarkammer, in der die Familie schlief, drang das Husten der dreijährigen Rikarda Marie und quälte Janne zusätzlich. Das Mädchen war vom dauernden Husten und Fieber so schwach, dass es kaum das Bett verlassen konnte. Es schleppte sich aus der Kammer in die Stube und verbrachte die Tage auf der Bank am Ofen. Das war doch kein Leben für ein Kind. Janne merkte es nicht, aber ihr liefen Tränen die Wange hinunter, und ihre Kehle fühlte sich an, als hätte sie jemand mit einer Wurzelbürste bearbeitet.

Ihr Ehemann Johannes Gotthold Schneider kam mit einem Korb Holzscheite herein. Er stellte ihn neben dem Ofen ab und erkannte auf den ersten Blick die Nöte seiner Frau. Mit einem schwieligen Zeigefinger...