Zerteiltes Leid - Liebesroman

von: David Wonschewski

Periplaneta, 2015

ISBN: 9783943876901 , 240 Seiten

Format: ePUB

Kopierschutz: frei

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Preis: 6,99 EUR

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Zerteiltes Leid - Liebesroman


 

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Fassen wir zusammen, was meine Kollegen so weit rekonstruieren konnten: Am 07. März haben Sie, der gelernte, aber früh auf Abwege geratene Immobilienkaufmann, Janusz Jaroncek, sich kurz nach Mitternacht Zugang zu der Wohnung der ausnehmend hübschen und für einen Mann wie Sie komplett unerreichbaren Studienrätin Uta Wensch verschafft.

Abgedrifteter trifft Karrieristin – das konnte nicht gutgehen. Die Frage warum Sie dies getan, warum Sie Frau Wensch aufgesucht haben, ist schnell beantwortet: Wegen allem. Und wegen nichts. Alles ist Ihnen zu viel geworden. Und nichts haben Sie länger ertragen. Nicht die Welt, nicht die Menschen, nicht Frau Wensch. Und am allerwenigsten sich selbst.

Und so sind Sie von Ihrem Hotel im Stadtzentrum zu der Wohnung von Frau Wensch gelaufen. Auf direktem Wege und freilich ohne einen Gedanken an die Unstatthaftigkeit und Aussichtslosigkeit Ihrer Aktion zu verschwenden. Die Wohnung, über die wir hier sprechen, befindet sich im zweiten Geschoss eines Mehrfamilienhauses im sogenannten Blütenviertel, einer recht idyllisch gelegenen, sauberen und somit schönen Gegend unserer Stadt. Da unsere Untersuchungen Sie bereits einwandfrei als gehetzt zu benennenden Charakter klassifiziert haben, gehen wir davon aus, dass Sie eilenden Schrittes dorthin gegangen sind. Sie sind nicht geschlendert und auch nicht gerannt, sondern in jener abrupt stolpernden Geschwindigkeit gelaufen, wie sie uns seit jeher von Narren, Sternebeschauern und Hans Guckindieluft bekannt ist.

Am Haus angekommen sind Sie, Herr Jaroncek, dann die Regenrinne hinaufgeklettert. Sie wirken zwar nicht wie jemand, der Regenrinnen hinaufklettern könnte, doch Verzweiflung – und allen voran jene Verzweiflung, die vom Herzen kommt und die nicht selten eine toxikologische Verbindung mit der Umnachtung des Geistes eingeht – bewerkstelligt bekanntlich so einiges.

Unter uns gesagt, etwas mehr Sport und etwas weniger an Ecken herumlungern und fremde Passanten vollsabbeln, würde Ihnen und Ihrer desaströsen Verfassung sehr gut tun.

Dennoch sind Sie, Jaroncek, Ihrem trägen Körper zum Trotz um exakt 00.59 Uhr die Regenrinne hinaufgeklettert. Mit der Geschmeidigkeit einer etwas vertrottelten Dschungelkatze, wenn ich mir diesen in diesem Zusammenhang doch recht lustigen Kommentar erlauben darf. Wie, Sie lachen ja gar nicht, Jaroncek!

Wie dem auch sei, unsere Spurensicherung hat sich jedenfalls prächtig amüsiert, die Kollegen haben schon viele Gegenstände untersucht, aber die Regenrinne, die Sie sich da hochgewuchtet haben, die ist ein besonderes Unikat, genießt schon jetzt Kultstatus unter den Kollegen. Ihre Fingerabdrücke, Ihre Haare, Jeansfasern Ihrer Hose, das Profil Ihrer Gummibesohlung – alles dran an der Rinne, Jaroncek. Sie sind echt der Brüller. Sogar Schweiß und Tränen haben die Kollegen entdeckt!

Im zweiten Stock angelangt war es dann vorbei mit Dschungelkatze und vor allem mit geschmeidig, da war dann nur noch vertrottelt. Sie haben gewissermaßen Ihr wahres Gesicht gezeigt, Jaroncek. Denn Sie haben stante pede begonnen, kräftig, heftig und in schnellem Takt an die Balkontür von Frau Wensch zu klopfen. So in etwa, Jaroncek, ich mache es Ihnen hier auf der Tischplatte einmal nach: Klopf. Klopf-Klopf-Klopf. Klopf-Klopf.

Oh, und gerufen haben Sie! Nein, leugnen Sie nicht, Jaroncek, ganz verzweifelt haben Sie dagestanden und Utas Namen in die Nacht gerufen. Exakt so, wie es in Schlagern und verbrauchten Gedichten immer erzählt wird. Aber kein Grund sich zu schämen, Jaroncek, besser des Nachts auf einem Balkon stehen und Utaaaaa brüllen, als unter diesem Balkon singend mit einer Ukulele in der Hand zu stehen. Diese Art von Liebesirren haben wir sonst hier sitzen. Ist Ihnen noch gar nicht aufgefallen, was, Jaroncek? Ganz vollgestopft ist diese Stadt mit unglücklich verliebten Ukulelisten! Verstellen uns die Straßen und die Wege mit ihrer unglücklichen Verliebtheit und zupfen und plärren sich die Seele aus dem Leib. Bis es ihnen zu viel wird, sie bemerken, dass da nichts ist, was sie unternehmen können gegen ihr Herzensleid. Und sie entweder direkt auf dem Zentralfriedhof landen oder aber auf exakt dem Stuhl, auf dem Sie nun sitzen, Jaroncek. Mit dem Unterschied, dass wir bei denen immer nur befugt sind, den Kopf wieder gerade zu drehen, während wir Ihren abreißen sollen.

Tja, was soll ich sagen, Sie haben es nun einmal ein wenig übertrieben mit Ihrer Liebe, Jaroncek. Und das tut man nicht, niemand übertreibt ungestraft die Liebe. Womit wir wieder beim Thema wären. Sie standen also auf dem Balkon, klopften – Klopf, Klopf-Klopf-Klopf, Klopf-Klopf – und brüllten – Utaaaaaaaa! – sich die Seele aus dem Leib. Und erreichten damit, lassen Sie mich kurz noch einmal in der Akte nachsehen – nichts. Gar nichts. Viel Aufwand, wenig Ertrag. Ein durchaus gängiges Erfolgsschema bei intuitiv handelnden Menschen wie Ihnen, Jaroncek. Wollen und riskieren alles, erreichen und erhalten nichts. So wie ich es eingangs erwähnte, das Alles und das Nichts, das ist Ihr großes Lebensproblem.

Ich fahre fort: Frau Wensch hat, wie jeder mental aufgeräumte, um nicht zu sagen, erwachsene Mensch, um die benannte Uhrzeit bereits in ihrem Schlafzimmer gelegen und geschlafen, was zu der peinlichen Situation führte, dass Sie eine ganze Weile dort stehen und klopfen mussten. Ein ganz hübscher Gedanke, so in der Nachbetrachtung, finden Sie nicht auch, Jaroncek? Sie stehen da, klopfen und brüllen – und nach und nach gehen im ganzen Blütenviertel die Lichter in den Wohnungen an, die Leute treten hinaus auf ihre Balkone, manche gar mit Getränken und Chips ausstaffiert, wie wir bei unseren Befragungen herausgefunden haben. Und alle haben Sie beobachtet, Jaroncek, haben in aller Ruhe auf ihren eigenen Balkonen gestanden, sich an ihre Brüstungen gelehnt und sich an Ihrem Schauspiel erfreut, das, auch das haben unsere psychologischen Untersuchungen ergeben, Jaroncek, von Anbeginn an nichts anderes, als eben ein Schauspiel gewesen sein kann. Ihr Schauspiel. Zeugen sind somit nicht unser Problem, Sie waren dämlich genug, voll einzusteigen in Ihre Rolle als liebestoller Idiot, Jaroncek. So sehr einzusteigen, dass wir mehr Zeugen für Ihre grausame Tat haben, als unsere Aktenordner erfassen können. Sie als Täter auszumachen, Jaroncek, hat uns ein müdes Husten gekostet, zehn Minuten Ermittlungsarbeit, eher weniger als mehr.

Die Aufnahme der Zeugenaussagen aber, Jaroncek, dafür könnte ich Sie jetzt noch ohrfeigen. Zwanzig Beamte haben sich drei Tage lang durch das Blütenviertel geschlagen und protokolliert, protokolliert, protokolliert. Und am Ende doch die Hälfte der aufgenommenen Zeugenaussagen in den Schredder gegeben, da uns der Richter gewiss einen Vogel zeigen würde, wenn wir an dem Tag, an dem wir Sie zum Schafott führen, mit unseren Rollkoffern und den Aktenbergen im Gerichtssaal erscheinen. Was denn das für ein bescheuertes Verbrechen sein soll, wird uns der Richter fragen, Jaroncek! So viele Zeugen, alles eindeutig, alles klar, nichts auf der Kippe, nichts abzuwägen – da kann so ein Richter schon einmal unleidlich werden, wenn ein Verbrecher nicht verbrecherisch vorgeht. Doch das soll nicht mein Problem sein, zurück zur Tat.

Sie klopften, sie brüllten, die halbe Welt schaute zu. Und: Sie hatten Erfolg. Frau Wensch erwachte, kam in einem Negligé ins Wohnzimmer und öffnete die Balkontür. Erinnern Sie sich noch an diesen Hauch von Negligé, Jaroncek? Lecker, lecker, sage ich da nur. Ich kenne nur die Fotos der toten, geschundenen Frau Wensch, doch selbst da ist sie noch wunderschön. Wie eine Moorleiche, nur röter und noch nicht so angegangen. Hier, schauen Sie sich ruhig noch einmal die Fotos an, Jaroncek. Auf diesem Bild ganz besonders, die Augen geschlossen, die nassen Haare bringen ihr Porzellangesicht wunderbar zur Geltung – da liegt sie, in der Badewanne, das Wasser umspielt sanft ihre Formen und hier, Jaroncek, so schauen Sie doch, auf diesem Foto hebt das Wasser ihr Negligé und ihre Hände ein wenig an. Es sieht fast aus, als würde sie schweben, oder Jaroncek? Wie Kylie Minogue in Where The Wild Roses Grow sieht das aus.

Das ist ein Foto, das mir erklärt, warum Sie so vernarrt gewesen sind in Frau Wensch. Nicht verliebt, wären Sie verliebt gewesen, Jaroncek, Frau Wensch wäre Ihnen nicht zum Opfer gefallen. Sie waren vernarrt und warum das so gewesen ist, das erkennt jeder Mensch mit einem kurzen Blick auf dieses Foto. Zum Anbeißen schön, diese Uta Wensch. Ein weiterer kurzer Blick auf eine zerlumpte Gestalt wie Sie, Jaroncek, reicht aus, um sofort zu wissen, warum einer wie Sie eine Frau wie die Wensch niemals bekommen kann. Aber das muss ich Ihnen nicht erklären, das wissen und spüren Sie selbst. Mit jedem neuen Tag, an dem Sie erwachen, ins Badezimmer trotten und sich vor den Spiegel stellen, ahnen Sie, dass Sie eine Frau wie die Wensch niemals erreichen werden.

Zwei Leben im Eimer, Jaroncek, Ihres und das der Wensch. Aber zwei kurze Blicke reichen aus, um die ganze Geschichte zu erkennen, alles zu wissen.

Sagen Sie, ist das nicht bedrückend, Jaroncek, da erfährt einer so viel Leid wie Sie und verursacht daraufhin doppelt so viel Leid – und am Ende werden zwei kurze Blicke und zehn Minuten Gerichtsverfahren ausreichen, einen Deckel auf die ganze Angelegenheit zu machen.

Gut … wo waren wir stehengeblieben? Dort, an der Schwelle zwischen Wohnzimmer und Balkon, kam es sofort zu einem kurzen Wortgefecht, welches Sie, Jaroncek, ziemlich klar verloren. Wie Sie immer verlieren, wenn Sie sich mit Frauen...