VIP Love

von: Carmen Gerstenberger

LYX, 2017

ISBN: 9783736304185 , 354 Seiten

Format: ePUB

Kopierschutz: Wasserzeichen

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Preis: 4,99 EUR

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Mehr zum Inhalt

VIP Love


 

1


Valerie

Müde sah Assistenzärztin Valerie Sanders auf die Uhr im Ärztezimmer. Es war kurz vor dreiundzwanzig Uhr und Halbzeit ihrer Schicht in der Notaufnahme, die heute nur aus verrückten Unfällen zu bestehen schien. Sie tankte ihre Kräfte gerade bei einer Überdosis Koffein auf, als Schwester Erika hektisch die Tür aufriss.

»Eine Kopfplatzwunde trifft gleich ein.« Dann war sie wieder verschwunden.

Valerie schloss die Augen und gab sich einen Ruck. Sie hatte seit über achtundvierzig Stunden Bereitschaftsdienst. In der Notaufnahme bedeutete das Dauereinsatz, vor allem am Wochenende. Mit ihren achtundzwanzig Jahren befand sie sich im letzten Drittel der Ausbildung zur chirurgischen Fachärztin und durchlief momentan die bei den meisten ihrer Kollegen verhasste Notaufnahmestation. Valerie jedoch mochte die Hektik und Unvorhersehbarkeit, auch wenn diese ihr an manchen Tagen alles abverlangte. Tief durchatmend stellte sie ihre Tasse ab, stand auf und legte den inneren Schalter um. Egal, wie müde und erschöpft sie war, der Notfall benötigte jetzt ihre volle Konzentration. Sobald sie die Tür des Ärztezimmers hinter sich geschlossen hatte, tauchte sie in eine andere Welt ab. Geschäftige Hektik und wache Betriebsamkeit umfingen sie. »Wann trifft der Krankenwagen ein?«, fragte sie Schwester Erika, die ihr ein Klemmbrett vor die Nase hielt.

»Er ist schon da«, erwiderte diese knapp, nickte in Richtung einer Schar aufgebrachter Schwestern und verdrehte genervt die Augen.

»Wo ist der Patient?« Irritiert blickte sich Valerie um, sie sah niemanden mit einer Kopfplatzwunde. Und was war nur mit den Schwestern los?

»Sie haben ihn durch den Hintereingang reingebracht. Er sitzt im Traumaraum.« Erika griff sich resolut das Klemmbrett, auf dem Valerie eine Entlassung unterschrieben hatte, und ging ohne ein weiteres Wort zu einem bereits auf sie wartenden Patienten.

»Warum das denn?«, murmelte Valerie, ohne eine Antwort zu erwarten. Kopfschüttelnd begab sie sich zum Traumaraum und zog die Augenbrauen hoch, als sie zwei riesige, stämmige Kerle in schwarzen Anzügen sah, die die Tür zu beiden Seiten flankierten und tatsächlich Sonnenbrillen trugen. Nachts. Im Krankenhaus.

»Lassen Sie mich raten, Agent K und Agent J?«, fragte sie grinsend. Es kam nicht oft vor, dass sie die Zeit fand, um fernzusehen, doch hin und wieder schleppten ihre wenigen Freundinnen sie ins Kino. »Werde ich auch geblitztdingsbumst, wenn ich den Patienten behandelt habe?«, fuhr sie fort, obwohl von den Typen keine Erwiderung kam. Nachdem sie jedoch weiterhin geschwiegen hatten, ging Valerie schulterzuckend zwischen den beiden hindurch in den Traumaraum.

Als sie eintrat, platzte sie mitten in eine lautstarke Diskussion zwischen zwei Männern. Der Jüngere der beiden, dessen linke Gesichtshälfte blutverschmiert und der daher augenscheinlich ihr Patient war, wurde von dem Älteren gerade für sein egoistisches und nicht akzeptables Verhalten zusammengestaucht. In lustigem französischem Akzent, der nur hin und wieder durchblitzte. Dem Grinsen nach tangierte das ihren Patienten jedoch nicht sonderlich.

Die beiden schienen Valerie überhaupt nicht zu bemerken, bis sie sich mehrmals räusperte. »Ich bin Ihre Ärztin Valerie Sanders und würde mir gerne die Platzwunde ansehen«, sagte sie bestimmt, während sie sich die sterilen Handschuhe überzog, die mit den restlichen Utensilien von Erika vorbereitet worden waren. Die Unterhaltung brach abrupt ab, und Valerie sah auf. Direkt in zwei blaue Augen, in denen trotz der Verletzung etwas aufblitzte, das sie einen winzigen Moment gefangen hielt. Das kurze Kribbeln, das daraufhin durch sie hindurchfuhr, brachte sie für eine Sekunde aus dem Takt. Valerie atmete tief durch, das fehlte noch, dass sie nach all der Zeit auf einmal einen Patienten anziehend fand.

»Hi, Dr. Sanders«, erwiderte ihr Gegenüber, seine Stimme klang rau und auch ein wenig herausfordernd, als würde er sie nicht begrüßen, sondern tatsächlich anbaggern. Dieser Tonfall sorgte zu allem Überfluss für eine unerwartet auftretende Gänsehaut, die zum Glück unter ihrer Kleidung verborgen blieb. Perplex darüber tastete Valerie umsichtig seine Stirn und den Bereich um das getrocknete Blut ab. Das musste gereinigt werden, bevor sie sagen konnte, wie umfangreich die Wunde war.

»Müssen wir das sticken?«, fragte der andere Kerl ungeduldig, während er aufgebracht im Raum umhertigerte.

»Nähen. Das kann ich Ihnen sagen, sobald ich die Wunde gesäubert habe.«

»Merde! Beeilen Sie sisch!«

Valerie hielt inne, ließ die Arme sinken und sah den ungehobelten Klotz im piekfeinen Anzug und den schwarzen, zurückgegelten Haaren mit zusammengekniffenen Augen an. »Bitte?«

»Isch sagte –«

»Schon gut, Hugo«, unterbrach ihn ihr Patient. »Du sollst die Ärzte nicht ständig nerven, und mich auch nicht. Am besten du gehst zu Cheech und Chong raus und bringst ihnen einen Proteinriegel.«

»Ne jamais dans la vie! Vergiss es, isch lasse disch nischt mehr allein, du hast genug Dünger gemacht. Hast du nischt die kleinste Ahnung, was das für disch bedeutet? Sie werden dir –«

»Ich möchte die Herren nur ungern beim Düngerherstellen unterbrechen, aber Sie werden die Diskussion auf später verschieben müssen.« Valerie strich die dunklen Haare aus der Stirn ihres Patienten und bemerkte ein leichtes Zittern ihrer Finger. Er machte sie nervös. Verdammt, das durfte alles nicht wahr sein! Das war sicher nur, weil er so gut roch. Und diese Augen! Herrgott, war sie high, oder weshalb benahm sie sich wie ein Teenager, der zum ersten Mal angeheitert war?

»Isch muss Sie nischt extra erklären, dass Diskretion die oberste Priorität ist für Sie, Madame?«

Wieder sah Valerie zu dem Kerl, den ihr Patient Hügo genannt hatte. »Ich verstehe nicht?«

»Mon Dieu, sind Sie blind? Wissen Sie denn nischt, wer das ist?« Aufgebracht fuchtelte er mit den Armen herum, und sein Gesicht nahm eine dunkelrote Färbung an.

Mittlerweile ziemlich genervt nahm Valerie die Patientenakte und blickte auf den Namen, der darauf stand. »John Doe?« Dann sah sie ihren Patienten an. »Ernsthaft jetzt? Für Aprilscherze ist es noch ein wenig zu früh, oder nicht?« Ihr entging nicht, wie lange er sie musterte, als wüsste er nicht, ob sie ihn auf den Arm nahm, dabei war sie es doch, die sich verarscht vorkam.

»Raus!«, sagte er unverwandt zu Hugo, der schließlich auf Französisch fluchend nachgab und die Tür laut hinter sich ins Schloss fallen ließ. »Ich heiße … Max«, sagte John Doe anschließend und lächelte, sobald sie allein waren.

»Schön, Max. Erklären Sie mir dann noch, weshalb Sie durch den Hintereingang hereingebracht werden, einen falschen Namen angeben und von den Men in Black bewacht werden?« Sie stellte sich wieder zwischen seine Beine, um das Blut auf seiner Stirn und Schläfe mit sterilen Tupfern zu entfernen. Dabei musste sie sich regelrecht zwingen, sich allein darauf und nicht auf diesen herben, männlichen Duft zu konzentrieren, der zugegebenermaßen immer wieder von einer leichten Alkoholfahne überlagert wurde. In der Notaufnahme hatte sie schon viele skurrile Fälle erlebt, dieser hier würde aber wohl unter die Top zwanzig kommen. Na ja. Vielleicht. Ohne Vorwarnung legten sich seine Arme um ihre Taille, während Max abrupt aufstand und sie an sich zog.

»So ist das also? Du willst spielen? Das ist cool, ich fahr total auf Rollenspiele ab«, raunte er, und im nächsten Moment pressten sich seine Lippen hart auf ihre. Überrumpelt erstarrte Valerie, doch so schnell ihr Verstand wieder zurückfand, tat sie zu ihrer eigenen Verwunderung nicht das, was sie bei jedem anderen Kerl gemacht hätte, der sie derart unverschämt belästigen würde. Anstatt ihm eine zu knallen, erlaubte sie sich für einen Wimpernschlag, diese Berührung zuzulassen, ohne ihn jedoch zurückzuküssen, und konnte dennoch nicht fassen, was sie da tat. Es dauerte nur einen winzigen Augenblick, doch dieser reichte aus, um ihren Puls zu beschleunigen. Sie musste definitiv high sein, das war nicht normal. Dann besann sie sich ihrer Situation, drückte ihre Hände gegen seinen Oberkörper und stieß ihn vehement von sich, bis er kapierte, dass es reichte.

Grinsend taumelte er zur Behandlungsliege zurück und setzte sich wieder. »Ich will verdammt sein, das war der schärfste Kuss, an den ich mich erinnern kann.«

»Wenn Ihr Alkoholkonsum immer so hoch ist, werden das nicht viele sein«, konterte Valerie und funkelte ihn mit vor der Brust verschränkten Armen an. Ohne sich anmerken zu lassen, dass ihr Herz wie wild unter den Rippen pochte und sie den Drang zu unterbinden versuchte, mit dem Finger ihre Lippen zu berühren. »Und jetzt will ich eine Erklärung. Was fällt Ihnen ein, mich einfach zu küssen?«

»Ah, du spielst jetzt also die Unnahbare. Ja, das mag ich. Schön kratzbürstig und widerspenstig, ein bisschen zähmen hier, ein bisschen unkonventionellen Spaß haben da. Wer hätte gedacht, was alles unter diesem Kittel schlummert.«

Wieder stand er auf, doch sie streckte sofort einen Arm nach vorn, um ihn auf Abstand zu halten. »Ganz langsam. Ich glaube, der Schlag auf Ihren Kopf war ziemlich heftig. Sie scheinen vergessen zu haben, wie man sich benimmt.«

»Okay, das war ein langer Abend, er war echt anstrengend, und ich hab jetzt wirklich keinen Nerv mehr auf Ringeltanz. Ich finde dich scharf; wenn du vögeln willst, bin ich dabei, das Vorspiel fällt heute allerdings flach.«

Fassungslos starrte Valerie Max an, der weiterhin...