Ein Versprechen aus Liebe - Roman

von: Marcia Willett

Verlagsgruppe Lübbe GmbH & Co. KG, 2017

ISBN: 9783732529674 , 382 Seiten

Format: ePUB

Kopierschutz: Wasserzeichen

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Preis: 9,99 EUR

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Ein Versprechen aus Liebe - Roman


 

1. Kapitel


Die Zeit der Loganbeeren ist fast vorbei. Während Evie die weichen, blutroten und von der Sonne gewärmten Früchte pflückt, die man so leicht versehentlich zerdrückt, hört sie das warnende »Tix-Tix-Tix« der Amsel, die halb versteckt in dem Efeu an der Mauer sitzt. Sie sieht zu ihr auf und erhascht gerade noch einen Blick auf einen schwarzen Flügel und einen golden aufblitzenden Schnabel.

»Ich weiß, dass du da bist«, sagt sie. »Hast dich selbst bedient, stimmt’s?«

Sie lässt die Beeren in ein Weinglas fallen, in dem auch ein paar Wicken stecken, richtet sich auf und sieht über die Dächer hinweg zur Hafeneinfahrt, wo zwei winzige weiße Boote über das wie blaue Seide schimmernde Meer gleiten. Sie kreuzen hin und her, und ihre Segel versuchen, den unbeständigen Wind einzufangen. Der steil ansteigende Garten hinter dem alten Kaufmannshaus ist in einer Reihe von Terrassen angelegt und von hohen Steinmauern umgeben, sodass er warm und vor starkem Wind geschützt ist. Auf der höchsten Ebene stehen auf Bodenplatten aus Schiefer ein weiß gestrichener, schmiedeeiserner Tisch und vier Stühle, die von einer niedrigen Lavendelhecke halb abgeschirmt werden. Der kleine umgrenzte Bereich über einer Wildnis aus Blumen und Büschen erinnert an ein Aquarell.

Evie setzt sich an den Tisch. Sie lächelt vor Vergnügen, als sie die Hand ausstreckt und mit den Fingern durch die hohen lilablauen Blütenstände des Lavendels fährt und seinen Duft einatmet. Tommy hat es geliebt, hier mit einer guten Flasche Wein zu sitzen und den Verkehr auf dem Fluss zu beobachten, der zwischen den bewaldeten Klippen aufs Meer zufließt. Wenn sie unter sich waren, nannte sie ihn Tommy. Thomas David Fortescue: der liebe Junge. So haben ihn seine Tanten immer genannt. Die drei hatten ihn großgezogen, als seine Mutter jung an Krebs gestorben war und sein Vater in London die Weinimportfirma der Familie leitete. »Bin ich an der Reihe, den lieben Jungen für diesen Feiertag … die Herbstferien … den Urlaub zu nehmen?« Im Lauf der Zeit zogen zwei der Tanten – die eine Witwe, die andere unverheiratet – in das Kaufmannshaus, damit das Leben des lieben Jungen so ungestört wie möglich verlief, und er wuchs so auf, wie seine Natur es ihm eingab: ruhig, optimistisch, großzügig. Die Gleichaltrigen nannten ihn TDF, obwohl einige von ihnen, die schöne Erinnerungen an die Tanten und glückliche Schulferien in Dartmouth bewahrten, ihn später immer noch als den »lieben Jungen« bezeichneten. Ihm machte das nichts aus, er genoss den Scherz, obwohl seine Frau es gelegentlich ärgerlich fand, das ihren eigenen Freunden oder Neulingen in ihrem Kreis erklären zu müssen. Sie rief ihn Thomas.

Marianne hatte London immer Dartmouth vorgezogen, obwohl es praktisch war, Freunde zu einer Party am Wochenende, zur Regatta oder manchmal zu Weihnachten hierher einzuladen. Mit seinen eleganten Räumen, dem dramatischen Panoramablick auf den Fluss, dem strahlenden Licht und seiner Weitläufigkeit war das Haus perfekt für Feiern geeignet.

Als ihr gemeinsamer Sohn Charlie älter wurde, wurde Marianne umtriebiger denn je, organisierte das Gesellschaftsleben ihres Sohnes und empfing seine Freunde. Tommy fuhr immer öfter allein nach Dartmouth.

Als Evie an diesem Abend Ende August an dem Tisch auf der Terrasse sitzt, sieht sie ihn vor sich: groß, schlank, schwarzes Haar, braune Augen. Zum ersten Mal war sie ihm auf der Straße vor dem Haus begegnet, nachdem sie die steile Treppe hinaufgestiegen war, die von dem ausgebauten Bootshaus, das sie kaufen wollte, dort hinaufführte. Sie hatte gerade das Straßenpflaster erreicht und blieb stehen, um zu Atem zu kommen, als Tommy aus dem eleganten Stadthaus gegenüber trat. Er ließ die Schlüssel in seine Tasche fallen, drehte sich um, erblickte sie und lächelte ihr zu.

Fast fünfundzwanzig Jahre später lacht Evie bei der Erinnerung: Dieses Lächeln hatte bei ihr ein ganz eigenes Erdbeben ausgelöst. Es war freundlich, fast amüsiert, als hätte er irgendwie erraten, dass sie sich in großer Aufregung befand. Er zog die Augenbrauen hoch, und es war, als forderte er sie auf, ihm davon zu erzählen. Und so tat sie es.

»Sehen Sie doch«, sagte sie, winkte ihn über die Straße und beugte sich über die Mauer, um auf das kleine, frisch umgebaute Bootshaus am Ufer zu zeigen, das sich im Sonnenschein und im Glanz des Wasserlichts über dem Fluss erhob. »Ist das nicht wunderschön? Ich werde es kaufen!«

»Donnerwetter!«, sagte er eifrig wie ein Kind und nahm an ihrer Freude Anteil. »Wie schön für Sie! Dann werden wir ja Nachbarn.«

»Leben Sie dort?« Mit einer Kopfbewegung wies sie über die Straße zu dem Kaufmannshaus. Sie war beeindruckt – und so hoffnungsvoll, dass ihr Herz schneller klopfte. Er war sehr nett.

»Größtenteils in London«, erklärte er betreten. »Ich komme nach Dartmouth, sooft ich kann. Meine Frau langweilt sich hier sehr schnell, und sie segelt nicht. Ich liebe es aber.«

Oh, verflixt!, dachte sie. Er hat eine Frau. Na schön.

Erst jetzt fiel ihr auf, dass sie gemeinsam den Hügel in Richtung Fairfax Place hinuntergingen.

»Und was ist mit Ihnen?«, fragte er. »Ich habe Sie noch nicht in der Stadt gesehen, meine ich. Sind Sie von hier?«

»Nein. Ich wohne seit fünf Jahren in einem gemieteten Haus in der Nähe von Totnes. Früher habe ich Geschichte an der Universität Bristol unterrichtet. Mein Spezialgebiet war der Bürgerkrieg. Und dann habe ich angefangen, einen Roman darüber zu schreiben und …«

Sie zögerte, denn sie wollte nicht allzu viel davon erzählen – wie erfolgreich die Bücher waren, dass sie sich entschieden hatte, ihren Beruf aufzugeben, um sich aufs Schreiben zu konzentrieren –, doch er sah sie jetzt noch aufmerksamer an.

»Sagen Sie mir nicht, dass Sie Evelyn Drake sind.«

Sie lachte über seine Aufregung. »Ja, genau die bin ich. Aber behalten Sie das bitte für sich!«

»Ich liebe Ihre Bücher über den Bürgerkrieg«, erwiderte er. »Ich habe jedes einzelne gelesen. Und was habe ich da von einer Fernsehserie gehört?«

Sie nickte, gleichermaßen begeistert wie peinlich berührt. »Ein unglaublicher Glücksfall. Und jetzt hat mir ein amerikanischer Verleger einen Vertrag für die ersten beiden Bücher angeboten; deswegen kann ich es mir auch leisten, das Bootshaus zu kaufen. Um ehrlich zu sein, bin ich mir nicht ganz sicher, ob ich das Ganze nur träume.«

Er musterte sie genauer. »Sind Sie verheiratet?«, fragte er leichthin. Sie schüttelte den Kopf. »Gibt es jemanden an Ihrer Seite?« Noch ein Kopfschütteln. »Dann trete ich also niemandem auf die Füße, wenn ich Sie zu einem Drink einlade?«

»Ich muss die Schlüssel zum Immobilienmakler zurückbringen, aber danach würde ich mich freuen«, sagte sie, und das war der Anfang gewesen.

Stumm hebt Evie ihr Glas mit den Loganbeeren und Wicken auf ihn und ihre gemeinsamen Jahre, zehn als seine Geliebte und nach Mariannes Tod zwölf als seine Frau. Während dieser Zeit hatten sie abwechselnd im Kaufmannshaus und im Bootshaus gelebt, doch als der liebe Junge zwei Tage nach einem Aorten-Aneurysma im Krankenhaus von Dartmouth starb, war Evie wieder ins Bootshaus gezogen und hatte das Kaufmannshaus an Freunde vermietet, die umzogen und deren neues Haus noch nicht verfügbar war.

Jetzt stellt sie das Glas wieder auf den Tisch und sieht über den in Terrassen angelegten Garten hinunter zum Haus, aus dem eine Gestalt tritt. Die Mieter sind ausgezogen, und Ben wohnt hier, während er sich von dem nicht lange zurückliegenden Scheitern seiner Ehe erholt. Bens Vater und Tommy waren Cousins. Mit Ben hat Evie die Flasche Wein geleert, die auf dem Tisch steht, und er ist derjenige, der nun durch den Garten zu ihr kommt. Charlie und er sind einander so ähnlich, dass sie Brüder sein könnten. Sie sind schlank, groß und dunkel, genau wie Tommy. Evie liebt sie beide gleichermaßen.

Was soll ich tun?, fragt sie sich nicht zum ersten Mal.

Ben betrachtet ihr Glas und zieht die Augenbrauen hoch. »Nicht mehr viel Platz für Wein.«

Sie schüttelt den Kopf und steht auf. »Ich möchte auch nichts mehr, mein Lieber. Kommst du zum Abendessen ins Bootshaus?«

»Nicht heute Abend, ich muss ein Projekt fertigstellen, aber danke.« Er weist auf die Loganbeeren und die Wicken. »Brauchst du dafür ein anderes Gefäß?«

»Ich suche mir auf dem Weg ins Bootshaus etwas in der Küche.«

Er bückt sich, um sie zu küssen, und sie geht vorsichtig auf der im Zickzack verlaufenden Treppe durch den Garten und in die Küche.

Das Kaufmannshaus ist Evie nie wirklich ein Zuhause gewesen. Sogar, als sie mit Tommy hier wohnte, war sie sich der Familientradition zu bewusst, des Umstands, dass sie nur übergangsweise hier lebte, um sich zu entspannen und es richtig zu genießen. Die Fortescues waren immer zwischen Dartmouth und London gependelt, aber nachdem die Tanten gestorben waren und Tommy Marianne geheiratet hatte, war das Kaufmannshaus weniger ein Haus gewesen, in dem die Familie lebte, als vielmehr ein Feriendomizil. Marianne lud manchmal Freunde und Kunden ein, um sie zu beeindrucken, und als Kinder verbrachten Charlie und Ben jeden Sommer ein paar Wochen in Dartmouth. Deswegen redeten und lachten Evie und Tommy im Bootshaus miteinander und erzählten sich dort ihre Geschichten. Es war keine Affäre im üblichen Sinn des Wortes – obwohl der Sex gut war, als es so weit kam – und hatte nichts damit zu tun, dass der Reiz des Verbotenen und die Heimlichkeit die Flammen der Anziehung angefacht hätten. Es war viel einfacher: so, als...