Hedwig Courths-Mahler - Folge 056 - Die verschleierte Frau

von: Hedwig Courths-Mahler

Verlagsgruppe Lübbe GmbH & Co. KG, 2015

ISBN: 9783732502981 , 80 Seiten

Format: ePUB

Kopierschutz: Wasserzeichen

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Preis: 1,99 EUR

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Hedwig Courths-Mahler - Folge 056 - Die verschleierte Frau


 

Astrid Holm öffnete voller Spannung den Brief, der ihr eben durch die Post zugegangen war. Er lautete:

Rosenhof, den 12. März

Sehr geehrtes Fräulein!

Von allen Offerten, die auf mein Inserat einliefen, hat mir die Ihre das meiste Interesse eingeflößt, und ich bin nicht abgeneigt, Sie zu engagieren. Ich möchte jedoch vorher Ihre persönliche Bekanntschaft machen, ebenso meine Frau. Durch Ihre Stellung würden Sie unsere ständige Hausgenossin werden, und das bedingt, dass Sie uns sympathisch sind. Ich möchte Ihnen zunächst noch einmal ausführlich mitteilen, welcher Art Ihre Stellung in meinem Haus sein würde: In der Hauptsache bräuchte ich Sie als Sekretärin. Ich beabsichtige nämlich ein Werk zu schreiben, in dem ich in Wort und Bild über alle Bauten berichten will, die ich im Verlaufe meiner Tätigkeit ausgeführt habe. Den Text dazu möchte ich Ihnen diktieren. Anschließend hätten Sie die Übersetzung in die englische und französische Sprache zu übernehmen. Somit würden Sie die Gewähr haben, auf mehrere Jahre fest verpflichtet zu sein. Auch würde ich Wert darauf legen, dass Sie meiner jüngsten Tochter helfen, ihre englischen und französischen Sprachstudien fortzuführen. Sie würden selbstverständlich vollständigen Familienanschluss bei uns finden.

Wenn Sie also gewillt sind, die Stellung bei mir anzunehmen, so bitte ich Sie, Sonnabendmittag nach Rosenhof zu kommen. Der Zug trifft gegen drei Uhr auf der uns am nächsten gelegenen Station ein. Ein Wagen wird Sie am Bahnhof erwarten. Für die Kosten Ihrer Reise und Ihren Zeitverlust komme ich natürlich auf, auch wenn es, was ich bedauern würde, nicht zu einem Engagement kommen sollte. Die Gehaltsfrage war ja in meinem Inserat schon erwähnt, und wir werden uns darüber noch einigen. Alles Weitere können wir mündlich besprechen. Ihr erwarte Ihre baldige Antwort.

Hochachtungsvoll

Richard Salten, Baumeister

Astrid Holm sah nachdenklich vor sich hin. Nach einer Weile erhob sie sich, verließ ihr Zimmer und ging über den Korridor nach der anderen Seite der Wohnung. Dort klopfte sie an eine Tür.

Eine nervös klingende, helle Frauenstimme forderte zum Eintritt auf.

Astrid öffnete die Tür.

„Weshalb stören Sie mich, Fräulein Holm? Sie wissen doch, dass ich beim Entwurf eines neuen Romans bin und dabei keine Störung vertrage.“

Astrid errötete. „Ich bitte vielmals um Entschuldigung, gnädige Frau. Da ich Sie eben erst verlassen hatte, glaubte ich Sie noch nicht bei der Arbeit. Ich wollte Sie nur bitten, mich für Sonnabendnachmittag zu beurlauben.“

Frau Leopoldine von Klinger, eine bekannte Schriftstellerin, zog die Stirn in Falten. „Sonnabendnachmittag? Muss es gerade Sonnabend sein? In dieser Woche ist noch so viel zu erledigen.“

Astrid wusste, dass Frau von Klinger sie nie gern beurlaubte, wenn sie, was sehr selten geschah, einmal einige Freistunden haben wollte. „Es muss Sonnabend sein, gnädige Frau, da ich mich an diesem Tag wegen eines neuen Engagements vorstellen soll.“

Frau von Klinger fuhr herum. Es zuckte nervös in ihrem Gesicht. „Ein neues Engagement? Mein Gott, Fräulein Holm, es ist doch nicht Ihr Ernst, dass Sie mich verlassen wollen?“

„Gnädige Frau, ich habe Ihnen doch am ersten März meine Stellung gekündigt.“

Frau von Klinger strich sich über die Stirn. „Das ist mir ganz entfallen – ich habe es auch nicht ernsthaft genommen. Nein, das ist unmöglich! Ich kann Sie einfach nicht entbehren. Sie haben sich so gut eingearbeitet, haben mir alle redaktionellen Arbeiten abgenommen, so dass ich mich darum wenigstens nicht zu kümmern brauchte. Sie wissen, was alles auf meinen Schultern ruht. Ich kann mir unmöglich eine neue Sekretärin anlernen. Das bringt mich wochenlang um Ruhe und Stimmung für meine Arbeit. Wahrhaftig, ich hatte noch nie eine so verständnisvolle Gehilfin wie Sie. Warum wollen Sie fort? Wollen Sie ein höheres Gehalt? Nun gut, Sie sollen es haben, Sie verdienen es. Aber bleiben Sie und stören Sie mich nicht länger!“

Astrid schüttelte den Kopf. „Ich verlange kein höheres Gehalt, gnädige Frau – ich kann nicht bleiben“, sagte sie fest.

Frau von Klinger erhob sich und trat dicht an Astrid heran. „Fräulein Holm, ist Ihnen jemand in meinem Haus zu nahe getreten?“

Astrids Gesicht überzog sich mit jäher Röte. In ihren Augen blitzte es auf. „Bitte, erlassen Sie mir die Antwort!“

Frau von Klinger schwieg einen Augenblick. Dann sagte sie leise: „Also deshalb! Ja freilich, dann müssen Sie gehen. Ich habe über meiner Arbeit vergessen, dass Sie jung und schön sind. Also – ich darf Sie nicht halten, ich muss Ihnen noch danken, dass Sie gehen.“

Verlegen sah Astrid zu Frau von Klinger auf. „Es tut mir so Leid, gnädige Frau, ich wäre am liebsten sofort gegangen. Nur weil ich Ihnen meinen Grund nicht nennen wollte, habe ich die Kündigungsfrist eingehalten.“

„Sie haben mir viel Zartgefühl bewiesen, Fräulein Holm, ich danke Ihnen. Aber nun ist es besser, ich halte Sie nicht auf Ihrem Posten. Es dürfte Ihnen eine Erleichterung sein, wenn Sie noch heute mein Haus verlassen können. Gehen Sie bis zum ersten April auf meine Kosten in eine Pension! Ihr Gehalt zahle ich Ihnen natürlich bis zu diesem Termin.“

Wie von einer heimlichen Last befreit, atmete Astrid auf. „Ich danke Ihnen sehr, gnädige Frau“, sagte sie bewegt.

Frau von Klinger legte ihre Hand auf Astrids Schulter. „Liebes Kind, es ist mir wahrhaft schmerzlich, mich von Ihnen trennen zu müssen; aber es gibt Notwendigkeiten, denen man sich, so bitter es einen auch ankommt, beugen muss. Gehen Sie mit Gott! Hoffentlich erhalten Sie bald ein gutes Engagement. Es würde mich freuen, von Ihnen zu hören, wie sich Ihr Lebensweg weiter gestaltet.“

„Ich werde mir erlauben, Ihnen mitzuteilen, wenn ich wieder eine Stellung gefunden habe. Vorläufig stehe ich in Verhandlung mit dem Baumeister Richard Salten.“

„Ah, der bekannte Architekt! Ich kenne einige seiner Bauten aus eigener Anschauung. Aber so viel ich weiß, lebt er nicht mehr in Berlin.“

„Nein, auf Rosenhof in Thüringen.“

„Nun, hoffentlich erhalten Sie die Stellung. Baumeister Salten wird mit Ihnen zufrieden sein können.“

„Darf ich Sie bitten, mir ein Zeugnis zu schreiben, gnädige Frau?“

„Ja, natürlich – ich schicke es Ihnen in Ihr Zimmer. Sie müssen ja erst noch packen. Jetzt lassen Sie mich, bitte, allein!“

Astrid sah, wie Frau von Klinger nur mühsam ihre Haltung bewahrte. „Leben Sie wohl, gnädige Frau, und innigen Dank!“, sagte sie herzlich. Damit verließ sie das Zimmer, während Frau von Klinger wieder vor ihrem Schreibtisch Platz nahm.

Als Astrid auf den Korridor hinaustrat und nach ihrem Zimmer gehen wollte, trat plötzlich ein in einen eleganten Hausanzug gekleideter Herr im Beginn der Vierzig leise aus einer anderen Tür. Mit schnellen, leisen Schritten war er an Astrids Seite, ehe sie ihr Zimmer erreichen konnte. „Immer noch ungnädig, mein süßes Kind?“, flüsterte er, sie mit funkelnden Augen ansehend.

Dabei trat er vor die Tür, so dass Astrid der Eintritt in ihr Zimmer verwehrt war.

„Geben Sie den Weg. frei, Herr von Klinger! Ich will in mein Zimmer“, sagte Astrid schroff.

Er sah sich vorsichtig um. „Aber liebes Kind, weshalb denn so geräuschvoll? Was wir uns zu sagen haben, braucht doch keine Zeugen“, flüsterte er heiser vor Erregung und versuchte, ihre Hand zu fassen. Astrid wich zurück.

„Ich habe nichts mit Ihnen zu sprechen, geben Sie den Weg frei!“, sagte sie stolz.

Seine Augen glühten sie begehrlich an. „Sie sind im Zorn nur noch schöner und begehrenswerter“, murmelte er und wollte Astrid in seine Arme ziehen.

Aber in Astrid wallte nun die Empörung hoch auf. In dem Moment, wo er nach ihrem Arm fasste, um sie an sich zu ziehen, schlug sie ihn mit der Hand mitten ins Gesicht. „Erbärmlicher Wicht!“, stieß sie zornig hervor.

Sie hatten beide nicht bemerkt, dass sich die Tür von Frau von Klingers Arbeitszimmer leise geöffnet hatte.

„Du hast dich wohl in der Tür geirrt, Alfons?“, sagte Frau von Klinger in eisigem Ton.

Alfons von Klinger wandte sich erschrocken um. Mit einem verlegenen Lächeln starrte er seiner Gattin ins Gesicht.

Astrid benutzte die Gelegenheit, um schnell in ihr Zimmer zu verschwinden. Sie schloss die Tür hinter sich ab und ballte in ohnmächtigem Zorn die Hände. Tränen der Empörung standen in ihren Augen.

Eine Stunde später klopfte das Mädchen an Astrids Tür, um ihr einen Brief Frau von Klingers zu überbringen. Er enthielt ein Zeugnis für Astrid mit einem Begleitschreiben, das an die eben erlebte peinliche Szene anknüpfte. Frau von Klinger schrieb:

Mein liebes Fräulein Holm!

Für die Beleidigung, die Ihnen in meinem Haus zugefügt wurde, bitte ich Sie um Verzeihung, weil ich Sie nicht davor geschützt habe. Ich will mich auf schriftlichem Weg von Ihnen verabschieden, da ich es nicht ertragen könnte, Ihnen noch einmal in die Augen zu sehen. Ich schäme mich für den Mann, zu dem ich einst hoffte, aufsehen zu dürfen. Das war mir indessen nie vergönnt. Nach einem kurzen Glücksrausch, in dem ich mich diesem Mann zu eigen gab, habe ich tausend Bitterkeiten und Demütigungen ertragen müssen. Ich habe oft in Ihren fragenden Augen gelesen, dass sie nicht verstehen können, was mich noch an diesen Mann kettet. Ich will...