Nahöstlicher Irrgarten - Analysen abseits des Mainstreams

von: Gudrun Harrer

Verlag Kremayr & Scheriau, 2015

ISBN: 9783218009515 , 216 Seiten

Format: ePUB

Kopierschutz: Wasserzeichen

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Preis: 16,99 EUR

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Nahöstlicher Irrgarten - Analysen abseits des Mainstreams


 

Eroberung eines Kartenhauses


Nach dem Sturz Saddam Husseins wartete auf die Iraker und Irakerinnen die nächste Hölle


Als am ersten Kriegstag im März 2003 nach etlichen vergeblichen Versuchen meinerseits, nach Bagdad telefonisch durchzukommen, bei den Freunden wider Erwarten doch noch das Freizeichen und gleich darauf die Stimme von S. ertönte, fiel mir nichts Besseres ein, als zu fragen: »Was macht ihr gerade?« Die nüchterne Antwort: »Na was schon: Wir schauen CNN!«

Satellitenschüsseln waren zwar verboten, aber S. hatte seit Jahren eine. Er wurde einmal verraten, aber die Sicherheitskräfte, die zu ihm ins Haus kamen, bestach er – Geld hatte er genug, denn er hatte einen Handel aufgezogen, eben mit jenen Satellitenempfängern, die er sich, in Teile zerlegt, aus Jordanien kommen ließ. Er war sehr erfolgreich. Unvergesslich der Besuch mit ihm beim damaligen chaldäischen Patriarchen, dem er gleich eine andiente.

Warum diese Episode wichtig sein soll? Ein paar Jahre früher hätte sich S. nicht freikaufen können, den Vorstoß beim Patriarchen hätte er nie gewagt. Die irakische »Republik der Angst«2, die die USA mit ihrem Einmarsch 2003 zerstören wollten, gab es längst nicht mehr. Es gab gar keinen Staat mehr, die zwölfjährigen internationalen Sanktionen, die nicht nur die Wirtschaft, sondern alle Bereiche des Lebens betrafen, hatten ihn aufgefressen. Die USA stießen 2003 ein Kartenhaus um. Der Autor von »The Republic of Fear«, Kanan Makiya (er schrieb unter dem Pseudonym Samir al-Khalil), hatte zu jenen Exil-Irakern gehört, die der willigen amerikanischen Regierung das Blaue vom Himmel versprachen: Empfang mit Rosen für die US-Soldaten, Einführung der ersten Demokratie im Nahen Osten. Am fünften Jahrestag der Invasion sagte Makiya in einem Interview zu mir: »Ich habe mich geirrt.« Dem Irak hatte er da längst wieder den Rücken gekehrt – wie hunderttausende Flüchtlinge auch, nur unter bequemeren Umständen.

Der irakische Staat war 2003 vor den Augen der USA kollabiert, es gab nichts, worauf man aufbauen konnte, keine Strukturen, keine Institutionen. Wäre das totale Abrutschen noch zu verhindern gewesen, wenn die Amerikaner nach einer ehrlichen Bestandsaufnahme ihre Politik der Realität angepasst hätten? Wenn die US-Armee Chaos und Plünderungen, die sofort einsetzten, verhindert hätten, wenn sie bereit gewesen wären, zuerst als Polizei und dann als »Nation Builder« zu fungieren?

Daniel Byman kommt in seinem Artikel von 2008, in dem er das Irak-Debakel »obduziert«,3 eher zu dem Schluss, dass es auch bei Vermeidung der katastrophalen US-Fehler schwierig geworden wäre. Nach den Erfahrungen der ersten Jahre »Arabischer Frühling« könnte man ihm insofern recht geben, als nun einmal mehr bestätigt ist, dass »freie« – wer ist schon frei nach Jahrzehnten unter solchen Regimen? – Wahlen jedenfalls kein Allheilmittel sind. Im Irak ließen die USA jedoch ohnehin erst zwei Jahre nach der Invasion wählen, als der Countdown zum Bürgerkrieg bereits begonnen hatte.

Unwissen und Arroganz


Und bei den USA waren es eben mehr als nur »Fehler«. Da war zu allererst einmal die Kriegsgrund-Lüge. Dazu kam eine seltsame Mischung aus Arroganz, Unwissen – und Kitsch, der sich europäischen Kriegsskeptikern gegenüber etwa so äußerte, dass diese ständig auf den Zweiten Weltkrieg und die Befreiung Europas durch die USA verwiesen wurden. Hatte der Irak etwa keinen Anspruch auf diese zivilisatorische Gnade? Als ob das so einfach wäre: Dort, wo die Amerikaner einmarschieren, wird alles gut.

Und dann zogen sie in den Irak ein und waren drei Wochen später in Bagdad, und da gab es jubelnde Iraker! Sie hatten also recht, und wir hatten unrecht. Ich erinnere mich an einen US-Diplomaten, der mir die Hand nicht mehr gab, nachdem ich den US-Triumphalismus nach »Kriegsende« kritisierte und schrieb, die USA sollten sich nicht täuschen: Sie hätten den Krieg nicht gewonnen, sondern dieser sei – vielleicht nur einstweilen – abgesagt worden. Dieser Diplomat ließ sich später nach Bagdad versetzen und nahm noch später wieder den Kontakt zu mir auf …

Es fällt ja nicht leicht, einer Supermacht wie den USA, 2003 noch unbestrittener die einzige Supermacht als heute, »Unwissen« zu unterstellen. Paul Bremer, der glücklose amerikanische »Vizekönig« in Bagdad, bekommt heute das ganze Fett als Scharlatan ab – aber entsandt und gewähren ließen ihn Vizepräsident Dick Cheney und Konsorten. Dieser Bremer also sagte 2003, als er die irakische Armee auflöste und den USA so mit einem einzigen Federstrich ein paar Millionen Feinde bescherte, er tue dies, um den Irakern unmissverständlich klarzumachen, dass Saddam Hussein Geschichte sei. »Saddams Armee« war tot.

An dem Tag, an dem diese Nachricht aus Bagdad kam, hatte ich zufällig mit einer kleinen internationalen Journalistengruppe einen Termin bei König Abdullah II. von Jordanien. Der, selbst ein Mann des Militärs, war bleich vor Entsetzen und Ärger. Ja wussten denn die Amerikaner nicht, dass die irakische Armee immer eine »nationale« gewesen war, eine, der Saddam Hussein nicht einmal richtig traute? Der Schlag, auf den Bremer so stolz war, richtete sich nicht gegen Saddam, sondern gegen die irakische Identität, den nationalen Zusammenhalt. Ich kann mich nicht mehr genau an seine Worte erinnern, aber König Abdullah sagte so etwas wie: »Jetzt ist es aus.«

Und das war es gewissermaßen auch. Die Amerikaner hatten die Iraker in Freunde und Feinde geteilt, und diese verhielten sich entsprechend. Das war, bevor die Amerikaner selbst Verbrechen an den »Undankbaren« begingen (Stichwort Abu Ghraib) und die geheimen Folterkerker bei ihren Freunden, den befreiten Schiiten, entdeckten. Aber es ist sinnlos, die unterschiedlichen »Body Counts« im Irak nach 2003 miteinander zu vergleichen, und schon gar, sie gegen die Opferzahlen Saddams aufzuwiegen. Es war eben nicht mehr die alte, sondern eine neue Hölle, die sich im Irak auftat.

Mein Freund S., der 2003 sofort gemeinsam mit seiner Frau mit voller Überzeugung für die US-Verwaltung in Bagdad zu arbeiten begann, wurde 2006, als ich für das österreichische Außenministerium als Sondergesandte und Geschäftsträgerin der Botschaft in Bagdad war, entführt. Mein finsterster Tag. Die Freunde kratzten das Lösegeld zusammen, S. war Sunnit, deshalb brachten ihn seine Entführer nicht um, sondern warfen ihn, nachdem sie das Geld erhalten hatten, immerhin nur aus dem fahrenden Auto. Er überlebte, nahm seine Familie und verließ das Land. Seine Entführer beschrieb er als völlig entkulturalisiert – er sagte, sie hätten nicht einmal ordentlich sprechen können, die verlorene Generation der Sanktionszeit –, junge Kriminelle, die ihre Taten mit einem sunnitischen Jihad gegen USA und Schiiten rechtfertigten.

Die gefährliche Saat


Kanan Makiya hat 2012 die US-Regierung aufgerufen, militärisch in Syrien einzugreifen: Logischerweise berief er sich dabei nicht auf die US-Intervention im Irak 2003, sondern verwies auf das Versäumnis von US-Präsident George H. W. Bush, dem Vater des Kriegsherrn von 2003, im Jahr 1991: Wenn die USA damals den Golfkrieg in aller Konsequenz geführt und Saddam Hussein gestürzt hätten, wäre der Irak noch zu retten, die irakische Gesellschaft noch nicht so kaputt gewesen, argumentierte er.

Das mag richtig sein, aber wenn Kanan Makiya, Professor der Brandeis University, meint, Syrien durch eine US-Intervention das irakische Schicksal ersparen zu können, dann irrt er schon wieder. Denn Syrien ist nicht wie der Irak 1991, sondern die Tragödie, die sich heute in Syrien abspielt, hat 2003 im Irak begonnen. Im Irak führte der Kollaps des Staates zu dem, was in Syrien heute zum Kollaps des Staates führt: der Ausbruch des konfessionellen Wahnsinns. Und dieser Wahnsinn schwappt im Jahr 2014 wieder zurück in den Irak, der mit dem Vormarsch der Jihadisten des »Islamischen Staats« und ihren Verbündeten, den Altbaathisten und den Stammessunniten, erneut zum konfessionellen Schlachtfeld geworden ist.

Bush senior hat 1991 den Irak-Krieg »nicht zu Ende geführt«, wie es heißt: Einer der Gründe, und vielleicht der gewichtigste, war, den Iran nicht von Saddam Hussein befreien zu wollen, weswegen man ja 1991 dem besiegten Irak auch seine konventionellen Waffen nicht weggenommen hatte: Er sollte zumindest seine Grenzen verteidigen können. Es ist richtig, dass dieses Argument 1991, nur zwei Jahre nach Ayatollah Khomeinis Tod, schwerer wog als im Jahr 2003, als in Teheran seit sechs Jahren der kultivierte Gelehrte Mohammed Khatami Präsident war, der nach 9/11 brav mit den Amerikanern in Afghanistan kooperierte und dennoch 2002 in einer Rede von George W. Bush auf der »Achse des Bösen« landete. Jedenfalls kam die Geschichte so, wie sie kommen musste:

Der von einer tribal-mafiösen Herrschaft eines (nominell) sunnitischen Clans befreite Irak – die Hinrichtung des Despoten entgleiste zu einer Art schiitischem Racheritual – geriet rasch unter die kulturelle und politische Hegemonie der Mehrheitsgruppe, der religiösen Schiiten, mit ihrem einfachen Verständnis von »Demokratie« als einer Herrschaft der Mehrheit und mit ihren traditionellen Beziehungen zu Teheran. Diese waren keineswegs immer spannungsfrei, und die irakischen Schiiten sind auch alles andere als eine homogene Gruppe. Aber trotzdem: Das war ein ganz neuer Irak, einer, der aus dem sunnitisch-arabischen Orbit in den schiitisch-iranischen gekippt war.

So sahen es jedenfalls die arabischen Sunniten am Golf, in Jordanien – den »schiitischen Halbmond«, der nun über der Region hing, hatte König Abdullah zum ersten Mal so benannt  –...