Von der verwandelnden Kraft negativer Gefühle

von: Anselm Grün, Bernd Deininger

Vier-Türme-Verlag, 2018

ISBN: 9783736501034 , 176 Seiten

Format: ePUB

Kopierschutz: Wasserzeichen

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Preis: 14,99 EUR

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Von der verwandelnden Kraft negativer Gefühle


 

Anselm Grün

Hieronymus Bosch hat den Neid auf seinem oben schon erwähnten Bild so dargestellt: Da sehen wir eine Straßenszene. Im Vordergrund giert ein Hund trotz zweier Knochen, die er vor sich liegen hat, nach dem Knochen, den ein Bürger in seiner Hand hält. Der Bürger wiederum schaut voller Neid auf den Adligen, dessen Diener einen Sack voller Geld wegträgt. Weder der Hund ist bei sich, noch der Bürger. Alle schielen auf das, was die anderen haben. So kann der Hund seine beiden Knochen nicht genießen. Der Bürger kann die Liebe zu seiner Frau nicht genießen, die neben ihm steht. Er schielt auf den Adligen, der mehr Geld hat. Der Adlige ist jedoch auch nicht glücklich. Er ist neidisch auf den Bürger, der eine Frau hat, während er allein durchs Leben gehen muss, nur von einem Diener begleitet, der ihm aber keine Geborgenheit schenkt, sondern sein Geld wegträgt.

Eine andere interessante Darstellung des Neides stammt von Caspar Meglinger aus seinem Zyklus »Der Lauf der Welt«. Er hat das Bild im Auftrag des Propstes von Beromünster im Jahr 1606 geschaffen und stellt den Triumphzug des Neides dar: Der Neid ist als eine ausgemergelte, hässliche Frau mit Schlangenhaaren dargestellt. Sie isst ihr eigenes Herz, ist also herzlos. Um sie herum sind die Folgen des Neids zu sehen: Ihr Kind ist eine Kriegsgöttin – der Neid ist die Ursache vieler Kriege. Der »Groll« ist ein grimmiger Mann, der das Pferdegespann lenkt. Die Pferde sind mit einem Behang aus Zungen ausgestattet. Die Zungen stehen für die üble Nachrede, die für den Neid typisch ist. Ein Pferd heißt »Raub«, das andere »Verleumdung«. Die Pferde werden begleitet von einer Frau mit einem Blasebalg. Sie wird als »Verwirrung« (lateinisch: perturbatio) bezeichnet. Neben ihr steht die »Unrast« mit einem Uhrwerk in der Hand. Im Vordergrund des Bildes ist eine Frau zu sehen, die ihre Rute erhebt. Sie heißt »Böswilligkeit«. Im Hintergrund werden Neidszenen aus der Bibel dargestellt: Kain und Abel; Josef, der von seinen Brüdern aus Neid in den Brunnen geworfen wird; Salome, die das Haupt Johannes des Täufers trägt; Saul, der neidisch ist auf David, weil er mehr Erfolg hat und bei den Menschen besser ankommt.

Wenn wir die Bilder betrachten, so entdecken wir darin wesentliche Aussagen über den Neid beziehungsweise beschreiben sie den gegenwärtigen Zustand des neidischen Menschen. Sie suchen nicht wie die Psychoanalyse in der Vergangenheit nach den Ursachen. Diese Sicht ist auch typisch für die frühen Mönche, denn Evagrius beschreibt einfach die Leidenschaften und zeigt Wege auf, wie wir mit den Leidenschaften umgehen sollen. Aber er fragt nicht nach den Ursachen in der frühen Kindheit. Wir wissen heute, dass der Blick in die Kindheit uns erklären kann, warum ein Mensch neidisch geworden ist. Der Blick in die Vergangenheit hilft uns, uns selbst nicht zu verurteilen, wenn wir vom Neid bedrängt sind. Er will uns verstehen lassen, warum wir so sind, wie wir sind. Wenn wir uns selbst verstehen, können wir auch zu uns stehen. Und das ist die Bedingung, uns selbst und unsere Emotionen zu verwandeln.

Manchmal kann der Blick in die Kindheit uns aber auch davon abhalten, uns jetzt mit der Leidenschaft zu beschäftigen und angemessen darauf zu reagieren. Daher sind beide Blickweisen legitim: der Blick in die Vergangenheit, um zu verstehen, warum und wie wir geworden sind, und der Blick in die Gegenwart, um zu verstehen, wie der Neid wirkt und wie wir damit umgehen können.

Das Bild von Caspar Meglinger sagt uns etwas Wesentliches über die Natur des Neides: Der neidische Mensch frisst sein eigenes Herz auf. Er hat die Verbindung zu seinem Herzen verloren und wird so herzlos. Er schadet sich selbst. Der neidische Mensch wird oft als hässlich dargestellt, denn letztlich hasst er sich selbst. Er ist nicht bei sich, sondern muss sich ständig mit anderen vergleichen. Er kann das Leben nicht genießen. Vom neidischen Menschen gilt, was Joseph Epstein einmal so formuliert hat: »Der Neid ist die einzige Todsünde, die überhaupt keinen Spaß macht.« Der neidische Mensch zehrt sich selbst auf mit seinem Neid. Im Deutschen sagen wir: Jemand wird gelb vor Neid. Er ist ausgemergelt, ohne Leben, vom Neid verzehrt und verunstaltet.

In dem Bild von Hieronymus Bosch liegt der Akzent auf dem Sehen. Invidia, lateinisch für »Neid«, kommt von invidere, das ein negatives Sehen meint, durch einen bösen Blick Unheil bringen. Zum Neid gehört die Eifersucht. Manchmal verwenden wir beide Begriffe synonym. Man könnte aber den Neid eher so definieren, dass er auf etwas zielt, das wir nicht haben. Wir sind neidisch auf einen erfolgreichen Menschen, weil wir ohne Erfolg sind. Eifersucht bezieht sich dagegen oft auf einen Menschen, den wir lieben, den wir also zu besitzen meinen. Wir sind eifersüchtig auf jeden Menschen, dem sich der geliebte Mensch zuwendet, weil wir Angst haben, ihn zu verlieren. In diesem Sinn ist das Kind eifersüchtig auf das jüngere Geschwisterchen, das ihm seinen Platz streitig macht. Vielen fällt es schwer, sich die Eifersucht einzugestehen oder sie vor anderen zuzugeben. Daher verstecken sie die Eifersucht hinter rationalen Argumenten. Ein Beispiel: Nietzsche verliebte sich in Cosima von Bülow, die Frau von Richard Wagner. Ab diesem Moment wurde er der entschiedene Gegner von Richard Wagner. Er hatte ihn bis dahin in höchsten Tönen gelobt. Jetzt wandte er sich aus weltanschaulichen Gründen gegen ihn. Doch in Wirklichkeit war die Eifersucht die eigentliche Ursache seiner »rationalen« Ablehnung. Keiner von uns gibt gerne seine Eifersucht zu. Sie ist uns peinlich. Daher agieren wir sie lieber auf andere Weise aus.

Neben den Bildern sagen uns die biblischen Geschichten, die das Mittelalter zur Erklärung der Todsünden heranzieht, etwas Wesentliches über den Neid aus. Da ist die Geschichte von Kain, der neidisch auf seinen Bruder Abel ist. Kain ist Ackerbauer und Abel Schafhirte. Man kann den Neid also soziologisch erklären. Aber auch der normale Geschwisterneid spielt hier eine Rolle. Man darf die Geschichte nicht so lesen, dass Gott den Abel vorzieht. Kain ist neidisch auf Abel, weil dieser offensichtlich besser ankommt bei Gott und bei den Menschen. Es geht um den Neid, der sich aus der Beachtung durch die Umwelt ergibt. Kain kann es nicht aushalten, dass er nicht so gut ankommt. Die Bibel beschreibt sehr schön die Gefühle, die in ihm aufkommen: »Da überlief es Kain ganz heiß, und sein Blick senkte sich« (Gen 4,5). Der Neid lässt in ihm einen heftigen Zorn aufsteigen. Und in diesem vom Neid erregten Zorn erschlägt Kain seinen Bruder Abel. Doch er schadet dadurch auch sich selbst. Der Ackerboden, der das Blut seines Bruders aufgenommen hat, wird verflucht: »Er wird dir keinen Ertrag mehr bringen. Rastlos und ruhelos wirst du auf der Erde sein« (Gen 4,12). Das Leben des neidischen Menschen wird unfruchtbar. Er verzehrt sich selbst vor Neid. Es wächst nichts in ihm und um ihn herum. Und er wird ruhelos und rastlos. Er kommt nie zur Ruhe, denn immer gibt es Menschen, auf die er neidisch ist. Er kommt bei sich selbst nicht an. Kain hat nun Angst, dass er von anderen erschlagen wird. Als Rettungszeichen macht Gott ihm ein Zeichen auf die Stirn, »damit ihn keiner erschlage, der ihn finde« (Gen 12,15). Man könnte dieses Heilmittel des Neides, das Gott dem Kain gibt, so verstehen, dass Kain durch das Zeichen mit sich selbst in Berührung kommt. Solange er sich nur mit anderen vergleicht, wird er ruhelos umherirren und niemand wird ihn akzeptieren. Gott bringt ihn mit sich selbst in Berührung. Das lässt ihn unter den Menschen wohnen. Das kann man auch spirituell verstehen: Wenn ich im Gebet mich selbst spüre, dann höre ich auf, mich mit anderen zu vergleichen. Nur wenn ich nicht bei mir selbst bin, wenn ich mich nur vom Vergleichen mit anderen her definiere, wird der Neid mich auffressen und letztlich töten.

Die zweite Neidgeschichte, die die Künstler immer wieder darstellen, handelt ebenfalls vom Geschwisterneid: Josef und seine Brüder. Josef ist der jüngste Sohn des Jakob und zugleich sein Lieblingssohn. Das macht die Brüder neidisch. »Als seine Brüder sahen, dass ihr Vater ihn mehr liebte als alle seine Brüder, hassten sie ihn und konnten mit ihm kein gutes Wort mehr reden« (Gen 37,4). So beschließen sie, ihn zu töten. Nur Ruben widersetzt sich dem Plan. Auf seinen Rat hin verkaufen die Brüder Josef an midianitische Kaufleute, die ihn nach Ägypten bringen. Dort wird er aufgrund seiner Fähigkeit, Träume zu deuten, zum ersten Minister des Pharaos. In den folgenden sieben Jahren, in denen es eine gute Ernte gibt, sammelt er den Überschuss des Getreides in Scheunen. Als dann sieben Jahre kamen, in denen die Ernte so gut wie ausfiel, hatten die Ägypter alle genug zu essen. Auch in Israel brach eine Hungersnot aus. So kamen die Brüder von Josef nach Ägypten, um Getreide zu kaufen. Beim zweiten Mal gibt sich Josef seinen Brüdern zu erkennen. Er hatte vorher erkannt, dass sie ihre Tat bereuten, dass sie sich also vom Neid verabschiedet hatten. So wird Versöhnung möglich und der Neid der Brüder wird besiegt. Man kann sogar sagen: Der Neid der Brüder hat letztlich zum Segen geführt. Josef lädt seinen Vater und seine Brüder ein, sich in Ägypten niederzulassen. Alle werden gerettet und gesegnet.

Die dritte Neidgeschichte ist die über König Saul und David. Saul ist immer wieder depressiv. Da braucht er David, der auf der Zither spielen und damit seine Depressionen vertreiben kann. Doch zugleich ist er neidisch auf ihn. Dieser Neid wird noch größer, als David den Riesen Goliath erschlägt. Denn die Frauen besingen David mit einem Lied: »Saul hat Tausend erschlagen, David aber Zehntausend« (1 Sam 18,7). So versucht Saul immer wieder David zu töten. Doch David achtet...