Friesenkoch. Ostfrieslandkrimi

von: Sina Jorritsma

Klarant, 2019

ISBN: 9783965861060 , 200 Seiten

Format: ePUB

Kopierschutz: Wasserzeichen

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Preis: 3,99 EUR

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Friesenkoch. Ostfrieslandkrimi


 

Kapitel 1


 

Kommissarin Mona Sander war der Appetit vergangen. Sie rümpfte die Nase, als ihr ein Silbertablett mit »provencalischen Heringshäppchen« präsentiert wurde.

»Nein, danke. Mir ist schon schlecht.«

Oberkommissar Enno Moll stand direkt neben ihr. Er blinzelte seiner Kollegin freundlich zu und knuffte sie sanft in die Flanke.

»Komm schon, Mona. Sei nett.«

Sie rollte genervt mit den Augen und strich ihre widerspenstigen rotblonden Haare zurück.

»Dafür gibt es ja wohl überhaupt keine Veranlassung, mein Lieber! Wir spielen hier die Bodyguards für einen selbstgefälligen Möchtegern-Star …«

»Tiemo Kopper dürfte momentan wohl der berühmteste Sohn Borkums sein«, fiel Enno ihr ins Wort. »Seine Kochshows im Fernsehen erzielen Traumquoten, und er hat eine große Anhängerschaft in den sozialen Medien.«

»Das ist mir doch egal!«, fauchte die Kommissarin. »Nur wegen diesem Kerl hat der Chef uns dazu gezwungen, uns in Schale zu werfen. Und nun sehen wir aus wie Schießbudenfiguren!«

»Ich finde, dass dir dein Kostüm sehr gut steht«, sagte Enno mit seiner üblichen Bärenruhe. Mona blickte an sich herab. Sie trug ein taubengraues Geschäftskostüm mit knielangem Rock, dazu eine hochgeschlossene weiße Bluse. Die Kommissarin kam sich vor wie bei einem Bewerbungsgespräch für eine Anstellung bei der Sparkasse. Normalerweise bevorzugte sie legere Kleidung. Jeans und Rollkragenpullover passten ihrer Meinung nach besser zu Borkum als ihre formelle Montur.

Auch Enno hatte für die aktuelle Aufgabe seine geliebte schäbige Lederjacke ablegen müssen und seinen schwarzen Anzug angezogen, den er normalerweise nur auf Beerdigungen trug. Nach Monas Meinung erinnerte ihr hochgewachsener und beleibter Kollege momentan an einen ostfriesischen Bauern, der sich als FBI-Agent verkleiden wollte. Obwohl Mona für ihr vorlautes Mundwerk berüchtigt war, hätte sie Enno niemals damit aufgezogen. Sie verstand sich mit ihm so gut wie mit keinem anderen Menschen auf der Welt.

Mona warf einen sehnsüchtigen Blick durch die hohen Panoramafenster. Der Beherbergungsbetrieb befand sich unmittelbar oberhalb der Borkumer Promenade. Dahinter breitete sich die Nordsee bis zum Horizont aus, an dem momentan ein postkartenreifer Sonnenuntergang stattfand. Die Kommissarin beglückwünschte sich selbst wieder einmal dazu, auf einer so schönen Insel wie Borkum wohnen und arbeiten zu dürfen. Dieser Gedanke würde es ihr hoffentlich leichter machen, die nächsten Stunden zu überstehen.

Mona verabscheute nämlich Kochshows. Als TV-Zuschauerin boykottierte sie diese Sendungen. Und nun musste sie auch noch Leibwächterin für diesen überheblichen Küchenstar Kopper spielen!

Es war, als ob sie durch ihre Gedanken den Spitzenkoch angelockt hätte. Nun kam nämlich Kopper in seiner blütenweißen Kochjacke auf sie und Enno zugeschlendert.

»Na, Herr Wachtmeister?« Kopper klopfte Monas Dienstpartner gönnerhaft auf die Schulter. »Hast du die Lage im Griff?«

»Herr Moll ist Kriminaloberkommissar!«, blaffte sie, bevor Enno etwas entgegnen konnte. Dabei warf sie dem Koch einen Unheil verkündenden Blick zu.

Kopper blickte auf die Kommissarin hinab.

»Die Kleine ist wohl mit dem falschen Fuß aufgestanden«, gab er mit spöttischem Unterton von sich.

Niemand außer Enno durfte es wagen, Mona wegen ihrer geringen Körpergröße aufzuziehen. Und er tat es auch stets nur in freundschaftlicher Absicht, was man von dem TV-Star nicht behaupten konnte. Kopper zeigte nur allzu deutlich, dass er sich allen anderen Anwesenden haushoch überlegen fühlte. Sein Tross an Mitarbeitern, die mit ihm angereist waren, dienerte ohnehin vor ihm. Für Mona war das ein weiterer Grund, sich von diesem Kerl garantiert nichts gefallen zu lassen.

Enno, der die berüchtigten Temperamentsausbrüche seiner Kollegin kannte, schob sich schnell zwischen Kopper und Mona.

»Wir konnten noch keine verdächtigen Gestalten bemerken, Tiemo«, sagte er schnell. »Du kannst dich also ganz auf deine Vorbereitungen konzentrieren.«

Mona musterte den Koch von Kopf bis Fuß. Sie wusste, dass Enno und dieser Widerling als ehemalige Klassenkameraden in etwa gleich alt waren. Doch während der kurz vor der Pensionierung stehende Oberkommissar seine Falten und Runzeln mit Würde trug, war Koppers Gesichtshaut so glatt wie die Wasseroberfläche der Nordsee bei Windstille. Sein jugendliches Aussehen kam Mona so falsch vor wie ein Sieben-Euro-Schein. Wahrscheinlich hatte er ein teures After Shave aufgelegt, doch das konnte sie wegen ihrer Erkältung nicht riechen.

Wenigstens etwas, dachte Mona.

»Ist Ihr Dauergrinsen eigentlich eine Folge der Schönheits-OPs?«, fragte sie betont unschuldig. Kopper zuckte zusammen und warf ihr einen wütenden Blick zu. Doch gleich darauf hatte er sich wieder im Griff. Er war eben ein Medien-Profi.

»Frauen, die mir die kalte Schulter zeigen, finden mich meist besonders attraktiv«, sagte er mit einem verführerischen Unterton in der Stimme. »Wir sollten dieses Thema später bei einem Glas Champagner vertiefen, Frau Sander.«

»An den Herd mit Ihnen, bevor Sie wirklich Polizeischutz brauchen – und zwar vor mir!«, wütete Mona.

Kopper ließ ein arrogantes Lachen hören und wandte sich nun wirklich von den Ermittlern ab. Enno seufzte.

»Musste diese Szene sein, Mona?«

»Das fragst du mich, Enno? Dieser Botox-Clown war es doch, der dich als Wachtmeister tituliert hat. Dabei weiß Kopper ganz genau, welchen Rang du bekleidest. Er hat ja laut genug um Polizeischutz für seine dämliche Show gefleht.«

»Genau genommen kam der Antrag nicht von Tiemo, sondern von seiner Managerin«, erinnerte der Ostfriese. »Und nach den anonymen Morddrohungen, die er in Hamburg erhalten hat, sollten wir die Sicherheitslage nicht auf die leichte Schulter nehmen. Er wäre nicht der erste Prominente, der bei einem durchgeknallten Attentäter auf der Abschussliste steht.«

»Dass Kopper ein Prominenter ist, lässt er jedenfalls penetrant raushängen«, grollte Mona. »Du bist einfach zu gutmütig, Enno. Es macht mich sauer, wie er auf alle anderen Menschen hinabblickt.«

Der Oberkommissar lachte gemütlich und legte seinen Arm um ihre Schultern.

»Die Show wird heute Abend aufgezeichnet, morgen reist die TV-Crew wieder ab und dann kehrt auf Borkum wieder Alltag ein.«

»Dein Wort in Gottes Ohr«, erwiderte Mona. Sie war nun halbwegs besänftigt. Ennos bedächtige Art wirkte auf die temperamentvolle Kommissarin immer wieder wie ein natürliches Beruhigungsmittel. Sie konnte Kopper nun mit anderen Augen betrachten. Gewiss, der Starkoch war ihr immer noch unsympathisch. Und sie würde ganz bestimmt keinen Champagner mit ihm trinken, von weiter gehenden Vertraulichkeiten ganz zu schweigen. Kopper gehörte offenbar zu den Männern, die sich selbst grundsätzlich für unwiderstehlich hielten.

Mona ließ ihren Blick durch den großen Festsaal des Traditionshotels aus der Kaiserzeit schweifen. Auf den Stühlen hatten ungefähr hundertzwanzig Gäste Platz genommen. Seit Tagen war für die Aufzeichnung von Koppers Küche kräftig die Werbetrommel gerührt worden. Die beliebte TV-Sendung sollte erst sechs Wochen später ausgestrahlt werden, doch die Eintrittskarten hatte die Touristinformation im Handumdrehen verkauft.

Die Kommissarin schaute auf ihre Armbanduhr. Wenn der Zeitplan eingehalten werden sollte, musste der Starkoch in sechs Minuten an den Herd auf der kleinen Bühne treten und seine Show abziehen.

Nun kam eine fünfzigjährige Frau mit spitzer Nase und strengem Blick auf Mona und Enno zugerauscht.

»Auch das noch«, flüsterte die Kommissarin ihrem Kollegen zu.

Paula Wiesner war Koppers Managerin. Auf Mona wirkte sie wie eine Schauspielerin, die eine strenge Lehrerin spielen soll. In dieser Rolle wirkte Frau Wiesner sehr überzeugend.

»Können Sie Herrn Koppers Sicherheit gewährleisten?«, fragte die Managerin mit einem bohrenden Unterton.

»Ja, sofern uns niemand an der Arbeit hindert«, gab Mona zurück und hielt dem Blick der elegant gekleideten Frau stand.

»Vielleicht ist es wirklich besser, wenn du noch einmal im Hotelfoyer nach dem Rechten siehst«, schlug Enno vor. Die Kommissarin verstand den Wink mit dem Zaunpfahl. Ihr Kollege wollte sie aus der Schusslinie schaffen, bevor sie sich endgültig um Kopf und Kragen redete. Es war Paula Wiesner durchaus zuzutrauen, dass sie sich beim Dienststellenleiter Oltbeck über Mona beschwerte. Und die Kommissarin hatte wegen ihres Benehmens schon öfter Ärger bekommen, man musste das Unglück ja nicht künstlich heraufbeschwören.

Außerdem konnte ein wenig frische Luft nichts schaden. In dem Saal vermischte sich der Duft von zahlreichen Parfüms mit dem typischen Matjesgeruch der Heringshäppchen.

Provencalische...