Danke, Freunde! - Die unglaubliche Amigos-Story

von: Markus Becker, Klaus Kächler

Bild und Heimat, 2019

ISBN: 9783959587815 , 224 Seiten

Format: ePUB

Kopierschutz: Wasserzeichen

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Preis: 16,99 EUR

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Mehr zum Inhalt

Danke, Freunde! - Die unglaubliche Amigos-Story


 

3. Bonbons für einen Pfennig

»Die gestrickten Strümpfe haben
gekratzt, wir hatten Ferkel im Stall
und kleine Katzen.«

Fragt man Bernd und Karl-Heinz Ulrich nach ihrer Kindheit, so bekommen sie glänzende Augen. Aufgewachsen sind die Brüder in dem winzigen Örtchen Villingen, das heute zur Großgemeinde Hungen in Mittelhessen gehört.

Karl-Heinz, der Ältere, wird am 19. November 1948 in Arnsburg bei Lich geboren. Schon der Weg in das kleine Krankenhaus ist abenteuerlich. »Die Mutter saß hochschwanger auf dem Sozius des Motorrads – und als sie ankamen, waren sie schon zu dritt«, macht sich Bernd, der Jüngere, lustig.

Er selbst erblickt zwei Jahre später, am 2. Dezember 1950, daheim in Villingen das Licht der Welt. Komplettiert wird die Familie 1957 durch die Geburt von Schwester Marina.

In den 1950er Jahren sind die Spuren des Zweiten Weltkriegs noch überall sichtbar. Die Versorgungslage in den ausgebombten Städten ist noch immer nicht rosig. Da geht es den Menschen auf dem Land noch vergleichsweise gut.

Allmählich geht es aufwärts. Es dauert aber noch, bis das vielzitierte Wirtschaftswunder auch in der Provinz ankommt. Geld ist knapp.

Die Straßen sind nicht geteert, rundum nur Wiesen und Wälder. Die Natur ist der Spielplatz.

Schon früh müssen die Jungs mit anpacken. Auf dem Acker werden Kartoffeln gelesen, die ganze Familie schafft mit.

Doch selbst bei der Feldarbeit kommt der Spaß nicht zu kurz:

»Auf dem Acker Richtung Langd haben wir aus Heu große Männchen gebaut und uns reingesetzt. Das Korn musste mit der Sense geschnitten werden. Gegen den Durst gab’s Essigwasser aus Wasser, Essig und Zucker. Eine große Kanne war immer dabei, alle haben aus dem Kannendeckel getrunken. Es gibt nichts Besseres gegen den Durst.«

In der Familie Ulrich muss jede Mark zweimal umgedreht werden. Vater Heinrich arbeitet als Bergmann im Erzbergwerk im acht Kilometer entfernten Inheiden. Mutter Erna-Luise arbeitet zunächst in einer Textilfabrik, ist später Hausfrau. Schon früh erkrankt sie an Unterleibskrebs.

Karl-Heinz: »Ich erinnere mich noch daran, wie sie vor Schmerzen geschrien hat. Vor Verzweiflung suchte sie Hilfe bei einem Heilpraktiker. Um ihn bezahlen zu können, schob der Vater Doppelschichten unter Tage. Nach der Arbeit ging er zusätzlich noch zum Bauern und half auf dem Feld.«

Bernd: »Durch diese Belastungen machte sich unser Vater das Kreuz kaputt, was ihn aber nicht daran hinderte, weiterhin zum Bauern zu gehen, obwohl er krankgeschrieben war. Eines Tages kam ein Krankenkontrolleur vorbei. Dem Vater wurde einen Monat lang das Krankengeld gestrichen. Eine verdammt harte Zeit. Doch jede Mühe hat sich gelohnt: Unserer Mutter konnte den Krebs besiegen!«

Kennengelernt haben sich die Eltern Heinrich und Erna beim Tanz. Sie aus Villingen, er aus Langd. Geheiratet wird 1947. Keine einfache Sache, gab es doch – wie früher durchaus üblich – traditionell eine gewisse Rivalität zwischen den beiden Nachbarorten.

Trotz aller Entbehrungen verleben die Kinder eine glückliche Zeit. »Im Sommer gab es Salat und im Winter Gemüse. Es wurde nichts weggeschmissen: Die trockene Brotrinde hat man abgeschnitten und in den Kaffee getunkt. Jeder krumme Nagel wurde wieder gerade gekloppt – für die Eltern ein Überlebenskampf, vor allem, wenn man ein Haus bauen möchte.«

1957 ist es dann endlich so weit: In der Bleichstraße entsteht ein typisches Nachkriegshäuschen. Beim Ausheben der Baugrube geht der neunjährige Karl-Heinz den Großen schon fleißig zur Hand.

In das einstöckige Haus ziehen neben den Eltern Ulrich mit ihren drei Kindern auch noch Oma Tinchen und Opa Hermann ein.

Karl-Heinz: »In dem Häuschen haben wir dann mit sieben Mann gewohnt, das Klo war im Hof.«

Geheizt wird mit Koks, im Keller muss regelmäßig nachgeschippt werden.

»Als uns das Feuer einmal ausging, wollten wir es mit Holzwolle wieder anzünden – da hat’s vielleicht geraucht. Nicht nur im Ofen!«

An der Dorflinde treffen sich die Kinder und spielen Klicker. Ein Loch wird gemacht, wer am nächsten mit seiner Murmel dran ist, gewinnt, und bekommt von den anderen die begehrten Kugeln. Im Sommer werden im nahe gelegenen Wald Büdchen gebaut und Banden gegründet.

»Dann ging’s rund: Oberdorf gegen Unterdorf.«

Bernd liest für sein Leben gern.

Karl-Heinz liebt sein Förster-Buch.

Karl-Heinz und Bernd mit ihren Eltern

Die beiden Bengels mit Schwesterchen Marina

Der große Bruder passt auf.

Das Elternhaus in Villingen

Bernds erster Schultag

Den Schlitten müssen sich die
Brüder teilen.

Die Familie beim Sonntagsspaziergang

Lausejungs

Vater Heinrich

Opa und Oma

Opa Ziegler an der Ziehharmonika mit seiner Kapelle

Opa Ziegler mit Zylinder und Ziehharmonika

Als Kinder haben Karl-Heinz und Bernd keine großen Wünsche.

»Wir haben Drachen selbst gebaut, Papier gesammelt und mit Mehl und Wasser zusammengeklebt, beim Zimmermann Holzstäbchen geholt, das ganze mit Wurstkordel zusammengebunden und fliegen lassen.«

Gern gehen die Jungs auch in die Dorfbäckerei. Hier stehen große Gläser mit Bonbons, jedes für einen Pfennig.

Die Kleider werden weitervererbt, das Spielzeug geteilt:

»Wir sind ein typisches Brüderpaar. Wir hatten einen Roller, ein Fahrrad, ein paar Rollschuhe, ein paar Schlittschuhe. Da musste man sich einigen, damit jeder mal zum Zug kommt. Da gab’s auch mal auf die Ripp.«

Egal zu welcher Jahreszeit, es wird draußen gespielt. Karl-Heinz: »Auf dem Flüsschen hinterm Haus liefen wir Schlittschuh oder badeten dort. Wir hatten uns ein eigenes Sprungbrett gebaut. Die Sommer waren noch Sommer und die Winter noch Winter.«

Es herrscht Kalter Krieg. Regelmäßig finden Manöver statt. Auch rund um das kleine Örtchen am Rande des Vogelsbergs. Im Herbst fahren die amerikanischen Besatzungstruppen mit ihren Jeeps und Panzern durch Villingen. »Da wurde auch schon mal ein Vordach abrasiert, ohne dass es die Panzerfahrer störte.«

Zu den Camps der Amis im Wald pilgert die Dorfjugend gern. Die freundlichen Soldaten verschenken Schokolade und Kaugummi. Doch noch etwa anderes saugen die Kinder auf: das amerikanische Lebensgefühl – Rock ’n’ Roll und Coca-Cola.

»Einmal kamen wir nach Hause und unsere Mutter hatte eine Flasche Coca-Cola mitgebracht. Die wurde nicht einfach getrunken, sondern erst einmal auf den Tisch gestellt und minutenlang angehimmelt.«

1954 wird die Herberger-Elf in der Schweiz Weltmeister. Die Fußballbegeisterung hält noch lange an. Auf den Straßen wird jede freie Minute gekickt. Auch die Ulrich-Brüder sind immer dabei, Bernd im Mittelfeld, Karl-Heinz als Stürmer.

Der Ernst des Lebens beginnt für Karl-Heinz im Frühjahr 1955. In der Schule gibt’s auch schon mal eine Ohrfeige, wenn man nicht brav ist. Bernd: »Karl-Heinz hatte eine Zeitlang böse Noten, in Aufmerksamkeit und Fleiß eine Sechs; dafür in Sport und Musik immer eine Eins.« Irgendwann fängt sich der junge Pennäler. Besonders eines hat es ihm – und später auch Bernd – angetan: das nachmittägliche Theaterspiel.

Ab dem fünften Schuljahr gibt es zur Weihnachtszeit eine Theateraufführung im Bürgerhaus. Hier beweisen die beiden ihr Talent für die Bühne. »Die ewig langen Texte haben wir in unserem Holzschuppen gelernt. Das half uns auch im Unterricht. In Deutsch hatten wir super Noten.«

Karl-Heinz besucht die Volksschule in Villingen bis zur achten Klasse. Seine Maurerlehre tritt er danach in Hungen an.

Bernd muss ein Jahr länger die Schulbank drücken, denn sein Jahrgang ist der erste, der neun Jahre beschult wird. Mit dem Bus fährt er nach Laubach. Keine leichte Zeit für ihn. Doch er macht das Beste daraus: »Einmal habe ich mich mit einem Kumpel in der nahe gelegenen Gärtnerei verkrochen und erstmal in Ruhe eine geraucht. Wir sahen den Schulbus am Horizont verschwinden und dachten: So kann es gehen, wenn man offiziell den Bus verpasst.«

Mit fünfzehn beginnt er eine Lehre als Brauer und Mälzer in der Privatbrauerei Jhring-Melchior in Lich.

Mein Vogelsberg

Ich geh durch grüne Wiesen und durch bunte Felder,

ich sehe Blumen, die im Sonnenschein erblüh’n.

Und in der Ferne sieht man schon die dunklen Wälder,

hier möcht ich bleiben,

meine Heimat ist so schön.

Refrain

Mein Vogelsberg, mein schönes Heimatland,

und mittendrin mein Elternhaus.

Mein Vogelsberg, hier bin ich glücklich,

und nie im Leben werd ich wieder von dir geh’n.

Ein klarer Bach entspringt im Felsen dort am Berg,

die alte Mühle, sie singt noch ihr altes Lied.

Ein zarter Wind bewegt ganz sacht die bunten Felder,

ein Land von Gott gemacht, so weit das Auge sieht.

Refrain (2-mal)

Mein Vogelsberg, mein schönes Heimatland,

und mittendrin mein Elternhaus.

Mein Vogelsberg, hier bin ich...