Das Vermächtnis - Seraphim. Band 3

von: Benno Pamer

Retina, 2018

ISBN: 9788899834104 , 400 Seiten

Format: ePUB

Kopierschutz: Wasserzeichen

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Preis: 9,99 EUR

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Mehr zum Inhalt

Das Vermächtnis - Seraphim. Band 3


 

Prolog


Er befand sich in einem alten Gewölbe, das für diesen Anlass festlich geschmückt worden war. Die massiven Steinwände waren penibel geputzt und der Boden, ebenfalls aus alten Steinplatten, war mit einem Hochdruckreiniger von Ablagerungen befreit worden. Der Geruch eines ätzenden Putzmittels mischte sich mit der muffigen Luft des Gewölbes und reizte die Nase bei jedem Atemzug. Schon unzählige Male hatte er solchen Treffen beigewohnt und sich bei diesen mit seiner Familie über zukünftige Aktivitäten beraten, doch heute war alles anders.

Heute würde er endlich seinen Platz einnehmen, er würde die hohen Weihen erhalten und von nun an neben seinen Brüdern im Hohen Rat sitzen dürfen. Er würde aktiv Entscheidungen treffen und Strategien mitbestimmen können und sich nicht nur als stiller Berater im Hintergrund aufhalten dürfen und auf die Gunst seines Mentors hoffen.

Er würde einer der Mächtigen unter ihnen werden und die Kraft, die er so lange schon in sich spürte, endlich offenbaren können. Sein ganzer Körper zitterte bereits vor Aufregung und auf seiner straffen Haut, die sich über die gut definierten Muskeln spannte, hatte sich eine Gänsehaut gebildet. Noch war er allein im Gewölbe, doch würde sich das bald ändern. Bereits seit vierundzwanzig Stunden kniete er, nur mit einem langen, schwarzen Umhang bekleidet, auf dem Steinboden und befreite durch diese Meditation seinen Körper von allen weltlichen Einflüssen. Sein Geist musste das Irdische loslassen und Platz für die Erhebung machen, doch diese Übung fiel ihm schwer. Immer wieder schweiften seine Gedanken zurück in die Vergangenheit.

Die letzten achtundzwanzig Jahre hatte er in einer Scheinwelt gelebt. Seine Mutter war eine durchschnittliche Frau mit einem durchschnittlichen Job als Sekretärin in einer Notariatskanzlei in Senigallia, einer durchschnittlichen italienischen Stadt in den Marken. Sie lebten in einer Dreizimmerwohnung in einem Mehrfamilienhaus und er hatte eine durchschnittliche Schule besucht. Das Einzige nicht Durchschnittliche in seinem Leben war er selbst und die Tatsache, dass seine Mutter ihn allein aufzog, was in Italien auch im 21. Jahrhundert bei vielen für gehässige Kommentare sorgte. Bis zum Abschluss seiner Oberschule mit neunzehn wusste er nicht einmal, wer sein Vater war. Seine Mutter weigerte sich beharrlich, ihm auch nur die nebensächlichsten Details über ihn zu verraten, und so hatte er sich mit der Zeit die Geschichte zurechtgelegt, dass seine Mutter wohl vergewaltigt worden und er der Bastard eines sexsüchtigen Verbrechers sein musste. Komischerweise störte ihn das nicht, sondern machte diesen in seinen Augen zu etwas Besonderem.

Alles änderte sich an seinem einundzwanzigsten Geburtstag. Er befand sich mitten in seinem Betriebswirtschaftsstudium, als sein Vater sich ihm offenbarte. An diesem Tag verstand er endlich, warum ihn viele seiner Mitschüler gemieden hatten, warum er stets eine Faszination für die Bösewichte in Büchern und Filmen empfand und warum er, was seine Mutter mit zunehmendem Alter immer besorgter beobachtete, mit absoluter Gnadenlosigkeit seine Ziele verfolgte und dabei andere Menschen allein durch seine Art, wie er sie ansah, in Angst und Schrecken versetzen konnte. An diesem Tag nahm ihn sein Vater als seinen Sohn und Erben an und führte ihn in den Kreis seiner neuen Familie ein.

Voller Stolz begann er von diesem Tag an seinen Aufstieg im Inneren ihrer Hierarchie und arbeitete sich durch seine Scharfsinnigkeit bis zum Berater ihres obersten Herrn hoch, die höchste Funktion, die ein minderjähriges Mitglied des Zirkels bekleiden konnte, bis es im Alter von achtundzwanzig Jahren durch die Erweckung als vollwertig angesehen wurde. In den letzten Monaten hatte er ein Wechselbad der Gefühle erlebt. Erst wurde ihm der Boden unter den Füßen weggerissen, als sein Vater, der mächtige Dämon, in einer Auseinandersetzung mit ihren ewigen Widersachern getötet wurde und ihn erneut zum Halbwaisen gemacht hatte. Wenige Monate später dann die unglaublich berauschenden Terroranschläge, die den gesamten Erdball vor Angst zum Erzittern gebracht und die Tore zur Macht für seine Familie weit geöffnet hatten.

Diese Zeit war eine einzige Orgie an Gewalt, Verzweiflung und Tod gewesen und er hatte die Stimmung der Hoffnungslosigkeit wie ein edles Parfüm eingesogen und sich an ihr gelabt. Selten war seine Familie so nahe an einem endgültigen Sieg gewesen. Am ehesten war sie das noch während des Zweiten Weltkrieges gewesen, wo nur die eigenmächtige Wahnentscheidung Hitlers für einen Angriff auf die Sowjetunion den monströsen Plan seiner Familie durchkreuzt hatte. Doch damals war er noch nicht geboren gewesen und diesmal würde auch er sein Scherflein dazu beitragen, dass solche Anfängerfehler nicht mehr passierten. Er würde siegen. Er würde herrschen. Er würde …

„Ich sehe, du hast die Nacht gut überstanden.“

Der Satz riss ihn aus seinen Gedanken. Er öffnete schuldbewusst die Augen und suchte nach dem Sprecher. Dieser stand im Halbschatten des Steinbogens, der den einzigen Zugang zum Gewölbe bildete.

„Erhebe dich, wenn dein Geist gereinigt ist. Du musst dich noch für die Zeremonie vorbereiten!“

Der Neuankömmling trug ebenfalls einen schwarzen Umhang und eine Kapuze, die sein Gesicht verdeckte, doch hatte er ihn sofort an seiner schmalen Statur erkannt und an der Art, wie er lässig an der Mauer lehnte. Augenblicklich stellte er sich die großen, vorstehenden Zähne vor, die ihn von Anfang an fasziniert und gleichzeitig abgestoßen hatten. Und nicht zuletzt bemerkte er seinen kräftigen Geruch, der es sogar schaffte, den penetranten Geruch des Bodenreinigers zu überlagern. In der Intensität hatte er solche Gerüche bisher nur in Tierställen wahrgenommen und auch mit geschlossenen Augen hätte er sein Gegenüber leicht identifizieren können.

„Danke, Eurynome, ist die Zeit schon gekommen?“

Eurynome trat zwei Schritte vor und legte dem Knienden seine Pranke auf die Schulter. Zentnerschwer drückte die mächtige Klaue darauf und Schmerz durchzuckte seinen Körper, doch er ließ diese erste Prüfung lautlos über sich ergehen. Der Mann nickte zufrieden.

„Ich sehe, du bist bereit. Gehe in die Sakristei am Ende des Ganges. Dort kannst du dich passend kleiden.“

„Ich werde eine willige Schale sein, Eurynome, ich weiß, was mich erwartet.“

„Ich weiß, mein Sohn, wir alle sind gespannt, wer sich in dir verbirgt.“

Er erhob sich und reichte dem Fürsten der Dunkelheit, der bei solchen Anlässen als Zeremonienmeister fungierte, seine Hand. Ein leichtes Schwindelgefühl hatte sich seiner bemächtigt, doch bekam er schnell wieder die Kontrolle über seinen Körper. Er schritt würdevoll durch den schmalen Gang, der vom Gewölbe über mehrere kleine Stufen auf eine höhere Ebene führte, und betrat die Sakristei, in deren Mitte ein Holztisch als einziges Möbelstück stand. An einem Haken an der Wand hing ein purpurroter Umhang, den er während der Erweckung tragen sollte, doch war es etwas anderes, was seinen Blick voller Vorfreude auf sich zog. Auf dem Tisch lag eine nackte junge Frau, die mit Seilen daran gefesselt war und in deren Mund ein Knebel steckte. Schweißperlen rannen über ihre Stirn und er erkannte, dass sie versucht hatte, sich mit all ihrer Kraft zu befreien. Die Seile hatten bereits in ihre Hand- und Fußgelenke geschnitten und sie sah ihn mit weit aufgerissenen, angsterfüllten Augen an, als er seinen alten Umhang von den Schultern zog und seinen durchtrainierten, nackten Körper langsam auf sie zubewegte. Der Duft des Angstschweißes auf ihrem bebenden Körper steigerte seine Lust und mit einem diabolischen Grinsen legte er sich auf die wehrlose Frau. Auf diesen Teil der Erweckung hatte er sich am meisten gefreut.

Wenige Minuten später wischte er sein Glied mit einem Seidentuch ab, das auf dem Tisch bereitlag. Sein ganzer Körper war mit roten Symbolen bedeckt, die er sich mit Blut und Samen auf den Körper geschrieben hatte, dem alten Ablauf der Erweckung folgend. Er hatte die rituellen Messer, die mit einem Klebeband an den Oberschenkeln der jungen Schönheit befestigt gewesen waren, kunstvoll eingesetzt und auch den Knebel entfernt, damit er ihre Schmerzensschreie aufsaugen konnte. Bei seinem Höhepunkt hatte er ihr schließlich das Messer ins Herz getrieben und die Opferzeremonie beendet. Er war gereinigt und bereit.

Langsam nahm er den purpurroten Umhang von der Wand und zog ihn über den Kopf. Er roch die Spuren seiner Vorgänger in ihm und berauschte sich an dem Gedanken, welch mächtige Dämonen sich mit ihren Körperflüssigkeiten und dem Blut ihrer Opfer an der Innenseite des Umhangs verewigt hatten. Bald wäre auch er einer von ihnen und er spürte, wie die unheimliche Kraft, die in seinem Inneren auf ihre Befreiung wartete, noch heftiger an ihren Fesseln zerrte. Das Pulsieren trieb ihn weiter, raus aus dieser engen Kammer, wo auf dem Holztisch die blutverschmierte Leiche...