Das Erbe der Macht - Die Chronik der Archivarin: Der verschollene Mentiglobus

von: Andreas Suchanek

Greenlight Press, 2018

ISBN: 9783958343023 , 320 Seiten

Format: ePUB

Kopierschutz: Wasserzeichen

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Preis: 3,99 EUR

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Mehr zum Inhalt

Das Erbe der Macht - Die Chronik der Archivarin: Der verschollene Mentiglobus


 

Prolog


 

Die eine Seite der Münze …

Die Kerze flackerte im Hauch des hereinziehenden Windes. Eine Gänsehaut überzog seine Arme, ihn fröstelte. Trotzdem erhob er sich nicht, um das Fenster zu verriegeln. Der Schmerz in seinen Gelenken verhinderte es. Der Wind trug den Geruch von Essen herein. Saftiges Fleisch, frische Beeren, Wein. Lachen drang an sein Ohr.

Obgleich es längst nach Mitternacht war, feierten sie noch immer. Die Kraft der Jugend, ungebändigt und roh. Glatte Haut, hübsche Gesichter, Muskelkraft – wie er dies alles vermisste.

Leonardo lachte leise und strich mit zittrigen, von Gicht gekrümmten Fingern durch seinen Bart. Ja, er war alt. Sein Körper versagte ihm den Dienst, obgleich sein Geist noch so viel mehr erreichen wollte.

Er war mit einem langen Leben gesegnet gewesen, hatte es in den Dienst von Kunst und Wissenschaft gestellt. Manch eine seiner Apparaturen wurde von Magiern noch heute benutzt. Gerade gestern hatte er eines der hölzernen Flügelgestelle auf dem Rücken eines Mannes betrachtet. Die in den Bernsteinintarsien gespeicherte Magie neutralisierte die Schwerkraft.

Magie und Wissenschaft gingen Hand in Hand.

Er liebte es.

Und obschon er selbst kein Magier war, so hatte er doch stets nach seinem inneren Feuer gehandelt. Aus leeren Leinwänden war manifestierte Fantasie geworden. Grober Stein erhielt Rillen, Vertiefungen und verwandelte sich unter seinem Meißel in Skulpturen, die ihresgleichen suchten.

Sie nannten ihn einen ›Universalgelehrten‹, weil er von Wissenszweig zu Wissenszweig sprang wie über die Steine in einem See. Doch wo war das Ziel? Das fragten sich alle.

Leonardo lachte erneut, hustete und hielt sich schnell ein Tuch vor den Mund. Kein Blut. Trotzdem fiel ihm das Atmen schwer.

Sie suchten nach dem Ziel seines Lebens, erhöhten ihn zu einem Genie. Doch alles, was er je getan hatte, war, nach seinem inneren Feuer zu leben. Die Ergebnisse hatte er geteilt, vielleicht war das der Unterschied. Das Feuer hatte ihn dazu getrieben, die Welt zu verändern: Durch die Kunst mit Schönheit und durch sein Wissen mit Erfindungen. Er mochte bald gehen, doch sein Erbe würde überdauern. Was die Nimags wohl daraus machen würden? Und die Magier?

Er schüttelte den Kopf.

Die Menschen!

Denn das waren sie alle. Egal, mit welcher Macht sie ausgestattet waren: Sie handelten doch alle gleich. Die Könige und Kaiser, die Bauernjungen und Händler. Kampfmagier, Heilmagier und welche es sonst noch gab.

Leonardo bedauerte nichts.

Er hatte Fehler begangen in seinem Leben, doch niemals aus böser Absicht. Nur eines bereute er: Erst in den letzten Jahren seines Lebens hatte er damit begonnen, sich für jene zu interessieren, die im Verborgenen lebten. Magische Kreaturen. Angeblich gab es sogar Drachen.

Wie gerne hätte er einen von ihnen gesehen.

Doch er konnte spüren, dass die letzten Sandkörner zu Boden rieselten. Wieder kam ein Windhauch auf, wurde stärker.

Leonardo betrachtete das Pergament, das vor ihm auf dem Tisch lag. Seine letzten Worte für die Nachwelt.

Ich gehe ohne Reue. In dem Wissen, wahrhaft gelebt zu haben.

Die Schwäche übermannte ihn.

Seine Muskeln erschlafften.

Aus dem Wind wurde ein sanftes Wispern. Und war da ein Licht? Lächelnd ließ er los und ergab sich der Stimme.

 

… die andere Seite

Kälte. Sie kroch in Haut und Knochen, ließ sie zittern und schluchzen. Nein! Sie wischte die Nässe fort. Das war es, was sie wollten.

Johanna würde sterben, doch ihren Stolz würden sie nicht brechen.

Zu dritt waren sie hereingestürmt, hatten ihr das Kleid vom Leib gerissen und ihr eine Hose hingeworfen. Gierige Blicke waren über ihren Körper gekrochen, hatten sie gemartert. Sie musste die Hose anziehen, andernfalls hätten die drei ihr mit stinkendem Atem und brutalen Stößen ihre Tugend geraubt. Doch damit hatte Johanna ihr Schicksal besiegelt.

Frauen durften keine Männerkleidung tragen.

Vorbei.

Sie hatte auf die innere Stimme gelauscht, war ihrem Feuer gefolgt. Ihr Glaube, im Namen Gottes zu handeln, hatte sie angetrieben. Doch Verrat hatte ihr alles genommen. So war sie in den Händen der Engländer gelandet. Und um den einzig wahren König zu Fall zu bringen, mussten sie zuerst sie ins Feuer werfen.

Sie war nie eine Soldatin gewesen. All jene armen Burschen, die sie mit dem Schwert erschlagen hat, sind einer Mörderin zum Opfer gefallen.

Die Stimme ihres Anklägers hallte aus der Erinnerung an Johannas Ohr. Sie hatte auf dem Schlachtfeld gestritten und sollte nun eine Mörderin sein? Sie verdrehten die Wahrheit, wie es ihnen beliebte.

Sie lachte bitter auf.

Doch das Todesurteil würde nun durch diese Hose besiegelt werden. Es war lächerlich. Ein Kleidungsstück zeichnete sie als Unbelehrbare aus, als Ketzerin.

Schritte erklangen, Ketten klirrten.

Ihre Mörder kamen, um sie zu holen.

Zwei Wachen. Ein Nimag, ein Magier. Lancaster hatte vorgesorgt. Beim letzten Mal hatte sie zu fliehen versucht. Eine kleine Tätowierung, die mit Bernsteinpulver eingestochen war, hatte es ihr ermöglicht, zwei Schlösser zu öffnen. Doch die Wachen hatten sie zurückgeschleift.

Kein Zauber konnte sie mehr retten, kein Fluchtversuch, kein Kampf.

Im Hof grölte der Mob.

Die grob behauenen Steine glitten an ihr vorbei wie in einem Fiebertraum. Ihre nackten Fußsohlen patschten in Pfützen aus kalter Nässe, der Geruch von Exkrementen hing in der Luft. In den anderen Zellen wimmerten die Gefangenen bei ihrem Anblick, wurden an das Schicksal erinnert, das auch ihnen drohte.

Ein Stoß ließ sie taumeln, doch nicht fallen.

Der Pöbel grölte, als Johanna durch ihre Reihen schritt. Es gab keine Schutzsphäre, Obst und Gemüse trafen sie mit voller Wucht. Natürlich hatte Lancaster jene herbeigerufen, deren Väter und Ehemänner Johanna auf dem Schlachtfeld zu Fall gebracht hatte. Der Hass und die Gier nach Rache loderten in ihren Augen.

Angst schlug ihre Krallen tief in Johannas Herz, brachte sie erneut zum Taumeln. Höhnisches Gelächter folgte. Der Pöbel wollte sie brennen sehen.

Hatte sie etwas falsch gemacht?

War es tatsächlich so, wie alle sagten? Hatte der Teufel das innere Feuer geschickt und die Visionen kamen nicht von Gott? Mit jedem Schritt in Richtung Scheiterhaufen wuchsen Furcht und Zweifel in ihr.

Neunzehn Sommer hatte sie gesehen. Genug für ein Leben? Wohl kaum!

Krieg und Tod und Trauer waren ein Teil ihres Weges gewesen. Ja, sie liebte das Kämpfen für ein höheres Ziel. Doch wie konnte man auf dem Scheiterhaufen landen, wenn man das Richtige tat?

Weil böse Menschen dich für ihre Zwecke missbrauchen, gab sie sich selbst die Antwort.

Politik.

Niemand interessierte sich dafür, ob wirklich der rechtmäßige Mann auf dem Thron saß. Die Magier ließen sich von jedem Fürsten anheuern, dessen Schatzkisten voll waren.

Hände stießen sie grob die Leiter empor. Schnüre schnitten in ihr Fleisch, die Flammen der Fackeln kamen näher.

Feuer.

Rein wie die Essenz eines Magiers und doch zerstörerisch, wenn von Menschenhand geführt.

Johannas Körper zitterte, sie konnte es nicht verhindern. War das nicht der Augenblick, an dem ihr bisheriges Leben an ihr vorbeiziehen sollte? Doch nichts geschah. Sie spürte nur Angst.

Schon brannten die ersten Holzscheite.

In Kürze würde sie es wissen.

Das Himmelreich oder die Hölle, eines von beiden erwartete sie.

Johanna blickte empor.

Unter ihr nahm die Hitze zu. Die Flammen schienen zu flüstern, sie wisperten Worte in einer fremden Sprache, die sie nicht verstand.

So also endete alles.

Was blieb, war ein Vermächtnis der Schande.

Ihr Leben, als Opfer auf dem Altar machtgieriger Männer. All jene, die ihr einst zugejubelt hatten, atmeten erleichtert auf. Sie war fort.

Die Flammen leckten über ihre Haut.

Schmerz!

Johanna schrie. Innerlich flehte sie um Gnade. Sie gab ihr Leben im Zeichen Gottes, doch dieser Schmerz …

Ihr logisches Denken verging in den Flammen. Da war nur noch Qual. Eine grausame, klare Empfindung ohne Erinnerung, ohne Wissen. Sie wurde zur reinsten Form eines Gefühls.

Dann ebbte es ab.

Einfach so.

Die Flammen züngelten noch immer, die Menschen grölten. Es roch nach verbranntem Fleisch, Haut verkohlte und platzte auf. Ihr Haar hatte längst Feuer gefangen.

Doch obgleich sie noch nicht tot war, spürte sie keinen Schmerz mehr. Die Flammen sangen. Es war ein Lied, so wunderschön, dass sie geweint hätte, wäre es ihr möglich gewesen. Doch ihre Augen waren längst ausgetrocknet.

Sie ergab sich dem Lied.

Und schritt ins...