Die Zuneigung ist etwas Rätselvolles - Eine Ehe in Briefen

von: Theodor Fontane, Emilie Fontane, Gotthard Erler

Aufbau Verlag, 2018

ISBN: 9783841214874 , 224 Seiten

Format: ePUB

Kopierschutz: Wasserzeichen

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Preis: 13,99 EUR

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Die Zuneigung ist etwas Rätselvolles - Eine Ehe in Briefen


 

Am 16. Oktober 1850 stehen der einunddreißigjährige Apotheker Theodor Fontane und die sechs Jahre jüngere Emilie Rouanet-Müller-Kummer in der Kirche der Berliner Klosterstraße vor dem Traualtar, und als der Pfarrer die Zeremonie abschließt, findet endlich die quälend lange Verlobungszeit ihr glückliches Ende. Mit der Kutsche fährt man quer durchs alte Berlin in die Bellevuestraße am Tiergarten, wo das gemütliche Lokal von »Georges« die kleine Gesellschaft erwartet. Die Türen des Gartensaals stehen weit offen, und draußen strahlt die Herbstsonne. Er habe viele hübsche Hochzeiten mitgemacht, aber keine hübschere als seine eigene, wird der Bräutigam später einmal bekennen. Und er kann ja tatsächlich zufrieden sein, denn seine temperamentvolle Emilie ist eine attraktive schwarzhaarige junge Frau, und sein Hochzeitsanzug ist vom Honorar für seinen ersten Gedichtband sogar schon bezahlt.

Was dem aufmerksamen heutigen Leser eventuell auffallen könnte, ist der vielteilige Name der Braut, der auf deren wahrlich »romanhafte Lebensgeschichte« hindeutet. Emilie ist nämlich als Tochter der Pfarrerswitwe Thérèse Müller, geborene Rouanet, zur Welt gekommen, und zwar 1824 in Dresden, »heimlich, zu keines Menschen Freude«. Die weitverzweigte Familie Rouanet – das Oberhaupt ist angesehener Stadtkämmerer in Beeskow – transferiert das unerwünschte Baby von einer Station zur nächsten, bis die Dreijährige über eine Anzeige in der »Vossischen Zeitung« von dem Berliner Globen- und Reliefkarten-Hersteller Karl Wilhelm Kummer adoptiert wird.

Kummer wohnt in der Burgstraße, an der Spree und neben dem Schloss. Und dort wächst die Kleine, von Kummers Dienstmädchen eher vernachlässigt als erzogen, ziemlich verwahrlost auf. Sie besucht zwar eine gute Schule, wirkt aber wie eine schmuddelige »Ziegenhirtin aus den Abruzzen«. Diesen Eindruck zumindest macht sie auf ihren Spielkameraden, den halbwüchsigen Apothekersohn Theodor Fontane aus Swinemünde, der seit 1833 im Haus nebenan bei seinem Onkel August lebt und in der Wallstraße in eine Gewerbeschule geht. Doch da führt eines guten Tages Philippine Fontane, Onkel Augusts Frau, eine ehemalige Schauspielerin, die Nachbarskinder zusammen und weckt deren Begeisterung für das Theater, das sie gemeinsam besuchen und zu Hause nachspielen. Diese Leidenschaft scheint die Kinder eng aneinander gebunden und für später geprägt zu haben: Fontane wird lange Zeit als prominenter Theaterkritiker arbeiten, und die vielgelobte Vorleserin Emilie blieb zeitlebens eine passionierte Theater- und Operngängerin.

Aber noch sind unsere Helden im Jugendalter und auf ganz anderen Pfaden. Fontane beginnt 1836 in der Apotheke »Zum Weißen Schwan« in der Spandauer Straße eine pharmazeutische Ausbildung und trifft seine Kinderfreundin wohl nur gelegentlich. 1839 wird sie konfirmiert und erfährt bei dieser Gelegenheit schmerzlich, dass sie gar nicht die leibhaftige Tochter des geliebten Vaters Kummer ist. Im Herbst dieses Jahres heiratet Rat Kummer zum dritten Mal, und das Ereignis soll für die kommende Partnerschaft von Emilie und Theodor von Bedeutung werden, denn Fontane schreibt für seine Freundin ein Huldigungsgedicht auf die neue Frau Kummer, und Emilie trägt es zum Polterabend in Dresden vor – ein erstes bescheidenes Vorspiel für die spätere künstlerisch-handwerkliche Kooperation.

Emilie hält sich in jenen Jahren meist bei Verwandten in Ludwigslust und Schwedt und vor allem bei ihrer mit dem Oberförster Triepcke verheirateten Mutter Thérèse in Liegnitz auf. Parallel dazu setzt Fontane seine Ausbildung unter anderem in Leipzig und Dresden fort, bevor er 1844 wieder in Berlin eintrifft, um seinen Militärdienst als »Einjährig-Freiwilliger« zu absolvieren. Der Kontakt zwischen den beiden scheint nie länger unterbrochen gewesen zu sein, und als Emilie auch wieder in Berlin auftaucht, konnte man, wie sich Fontane erinnert, »den alten Ton gleich wieder aufnehmen«. Dieser »Ton« scheint in ausgiebigen Briefen herzberührend und herzbewegend angeklungen zu sein, und die Buddelkasten-Beziehung wandelt sich in eine erotische Verbindung. Als Fontane am 2. September 1844 eine kurze Nachricht an Emilie formuliert, bemerkt er in einem PS über dieses »Normal Billet«: »endlich ’mal fünf Zeilen statt fünf Seiten. Ich nehme Gratulationen darauf an.« Erhalten ist freilich nichts davon.

Emilie hatte sich inzwischen sehr »verhübscht«, war eine begehrenswerte Zwanzigjährige geworden, die auch die Versproduktion ihres Freundes gern akzeptiert. Kurzum: man war sich einig, und am 8. Dezember 1845 verloben sich die beiden auf der Weidendammer Brücke in Berlin. Man kann den Weg des Paares an jenem Abend noch heute nachgehen: Emilie holt Theodor gegen 10 Uhr an der Polnischen Apotheke in der Friedrichstraße (wo er damals angestellt war) ab, sie überqueren die in idyllischer Ruhe dahinfließende Spree und biegen dann – nun verlobt – in die Oranienburger Straße ein, wo Emilie wohnt.

Nach dem Schock über den Vater, der nicht ihr Vater ist, nach der Heimatlosigkeit mit ständig wechselnden Aufenthaltsorten scheint sich nun an der Seite des jungen Apothekers ein sicherer Platz abzuzeichnen. Doch da der geliebte Theodor über keine eigene Offizin verfügt – Vater Fontane hat das bescheidene Vermögen der Familie mit Spiel und anderen Machenschaften längst durchgebracht – und da der Pharmazeut ohne eigenes Apothekengeschäft in der Werteordnung der Zeit nur als »Giftmischer« gilt, ist diese Hoffnung auf Sand gebaut, und Fontane verbringt die kommenden Jahre auf der Suche nach einer passenden Anstellung, die die Gründung einer Familie ermöglicht. Die Wartezeit wird sich über fünf Jahre hinziehen, schließt die Aufregungen der Revolutionszeit von 1848 ein, und Emilie befindet sich mehr als einmal am Rande der Verzweiflung.

Wir wissen nicht viel über das tatsächliche Verhältnis der Verlobten zueinander. Aber es gibt Hinweise, dass sie zeitweise in beträchtlicher Spannung gelebt, sich heftige Szenen geliefert und sich mit Eifersucht gequält haben. Ob Emilie von den Eskapaden Theodors in Dresden erfahren hat – er bekennt sich selber als Erzeuger zweier Kinder mit einer Unbekannten –, weiß man nicht; aber dass Emilie nach Fontanes Tod den gesamten Briefwechsel aus der Brautzeit – es muss ein höchst umfangreiches Konvolut gewesen sein – verbrannt hat, spricht dafür, dass sie um diese voreheliche Vaterschaft wusste und dafür gesorgt hat, dass die Affäre zum bestgehüteten Geheimnis der Fontane-Familie wurde.

Diese Dinge werden wohl auch künftig im Dunklen bleiben; die Version von Günter Grass in »Ein weites Feld« hat einiges für sich, ist aber erzählerische Fiktion. Immerhin haben wir die Briefe Emiliens an ihre Stiefmutter Bertha Kummer, in denen Emilie immer wieder ihre unverbrüchliche Liebe zu ihrem Theo bekundet.

Und endlich, man schreibt das Jahr 1850, kommt die Wende. Fontane wird, mit einem mickrigen Gehalt, im »Literarischen Cabinet« der preußischen Regierung angestellt, und es kann geheiratet werden. 1851 kommt das erste Kind zur Welt. Aber gleichzeitig wird freilich auch das »Cabinet« aufgelöst, und die junge Familie steht erst einmal mittellos da. Da kommt ein Auftrag der »Centralstelle für Preßangelegenheiten« zu rechter Zeit: Fontane soll nach London gehen und dort aktuelle Berichte für die »Preußische (Adler-)Zeitung« schreiben. Er nimmt das Angebot an, das freilich Trennung von Frau und Kind auf unbestimmte Zeit bedeutet, und reist im April 1852 über Köln, Aachen und Brüssel in die britische Hauptstadt. Was er dort für das Berliner Blatt schreibt, wird er 1854 in dem Band »Ein Sommer in London« zusammenfassen.

Emilie indessen, die unmittelbar nach der Abreise ihres Mannes von Hebamme Jung eine erneute Schwangerschaft bestätigt bekommt, empfindet die Trennung von ihrem »Herzens-Theo« als besonders schmerzlich. Um sich abzulenken und um aus den beengten Wohnverhältnissen in Berlin herauszukommen, reist sie mit dem kleinen George nach Liegnitz, wo sie sich im Hause ihrer leiblichen Mutter und deren Mann aufhält. Ende Juni ist sie wieder in Berlin und wird von den Briefen Fontanes, der ständig neue Pläne für die Zukunft präsentiert, in ein strapaziöses Wechselbad der Gefühle gestürzt. Am 2. September 1852 wird, in Abwesenheit des Vaters, Sohn Rudolph geboren, der jedoch am 15. September stirbt.

Als Fontanes Mutter (wohl 1846) ihre künftige Schwiegertochter kennengelernt hatte, sagte sie dem Sohn: »Du hast Glück gehabt; sie hat genau die Eigenschaften, die für dich passen.« Die kluge Frau wird sogleich Emiliens kommunikative Fähigkeiten registriert haben, das Talent, auf andere zuzugehen und mit ihnen in Kontakt und Gespräch zu kommen. Und so wurden Theodor und Emilie (nach einer Formulierung in »Grete Minde«) ein »plaudrig Ehepaar«, das alle Aktualitäten in Familie und Freundeskreis, in Kunst und Gesellschaft gründlich durchzuhecheln pflegte. Diese Gewohnheit war der abendlichen »Papel-Stunde« vorbehalten oder – bei Abwesenheit eines Partners – der Korrespondenz.

Der alte Fontane, wie ihn die zeitgenössischen Porträts von Carl Breitbach, Hanns Fechner und Max Liebermann oder die Fotos aus den Studios von Loescher & Petsch oder E. Bieber zeigen: der weise, gütige, sympathische alte Herr, präsentiert sich in den Briefen an seine Frau auch als der ständig gestresste, auf den Gelderwerb verpflichtete Autor, der sich in seinen Nöten oft ruppig und rechthaberisch-doktrinär geriert und nur selten den liebevollen Ehemann gibt, der von sich bekannt hat: »Egoistisch bin ich, aber nicht lieblos. Das ist ein großer,...