Killer Blog - Folge 3 - Rache

von: Christine Drews

Verlagsgruppe Lübbe GmbH & Co. KG, 2015

ISBN: 9783732510122 , 100 Seiten

Format: ePUB

Kopierschutz: frei

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Preis: 2,49 EUR

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Killer Blog - Folge 3 - Rache


 

Rockall, 20. Oktober, 5:15 a.m.


Wir haben Zuwachs bekommen. Ein neuer Häftling hat gestern Nacht Quartier bezogen. Meine Fresse. Ich dachte ja, Bisswunden-Billy – das ist dieser verdammte Frauenschlächter, der sich dauernd selbst beißt – sei die Krönung der Irren-Schöpfung, aber der neue Typ von gegenüber toppt wirklich alles.

Ein religiöser Fanatiker? Nein, leider nicht, die kommen immer noch nach Guantanamo. Der Neue ist Satanist und hat den ganzen Körper mit auf dem Kopf stehenden Kreuzen tätowiert. Ständig betet er lautstark irgendeine verdrehte Version vom Vaterunser. Am Ende fleht er dann heulend um Vergebung. Aber nicht wegen seiner absurden Gräueltaten, nein. Er bittet Satan um Vergebung, weil er sein Werk nicht vollenden konnte! (Ich weiß, ich wiederhole mich. Aber ich finde es nach wie vor anmaßend, mit solchen Geschöpfen in einen Topf geworfen zu werden.)

Wahrscheinlich ist den meisten Lesern dieses Blogs dieser Irre sogar bekannt. Die Medien haben ihm den Namen »Satans Liebling« gegeben. Vierzehn junge Priester hat er im Laufe seiner mörderischen Karriere betäubt und in einen Wald verschleppt. Dort hat er sie kopfüber an einem Baum gekreuzigt, ihnen bei lebendigem Leib den Schwanz abgeschnitten und an der freigewordene Stelle ein hölzernes Kreuz in den Körper gerammt. Was für ein kranker Scheiß.

Warum werde ich noch mal mit solchen Männern auf Rockall eingesperrt? Kein Mensch kann mir erzählen, dass dieser Satansjünger richtig im Kopf ist. Es liegt doch auf der Hand, dass der Medikamente braucht, vielleicht auch ’ne Therapie. Aber nein, der Teufelskerl wird einfach weggesperrt. Und jetzt darf ich mir diese Scheißbeterei reinziehen.

Obwohl es auch etwas Gutes hat, dass der Spinner jetzt hier ist. Beim Hofgang wurde er an den Platz vor mir im Rondell gekettet. Dabei fiel mein Blick auf seine Wade, oder besser gesagt, auf das Tattoo, das dort prangte und das Heer der auf den Kopf stehenden Kreuze durchbrach. Ich erkannte das Bild, denn es hat sich in seiner ganzen Schaurigkeit in mein Gedächtnis gebrannt: Luzifer, mit dick vernarbter Haut, zwei gedrehten Hörnern an der Schädelseite und einem Blick, der einen erschaudern lässt, obwohl es doch nur eine Tätowierung war.

Vielleicht schaffe ich es ja, mit ihm zu sprechen und etwas über seine »Religion« zu erfahren.

Warum ich nach all der Zeit noch an sie denke? Und sie hier in diesem Blog erwähne? Nun, das ist ganz einfach: Ich schreibe hier meine Erfahrungen als Auftragskiller nieder. Ich mache das nicht nur, um meine Flucht zu koordinieren und meine Förderer bei Laune zu halten, sondern auch, um den Lesern dieses Blogs etwas beizubringen. Alles kann dabei wichtig und lehrreich sein. Und meine Beziehung zu Liz ist auf jeden Fall lehrreich, denn sie ist ein klares Beispiel dafür, wie man es nicht machen sollte.

Ich gebe zu, dass mich Liz’ Verschwinden damals beschäftigte. Von einem Tag auf den anderen war sie einfach weg. Zum Glück reflektiere ich stets mein Denken und Handeln. Daher entschied ich mich zu dieser Zeit bewusst, erst mal einen regulären Job zu erledigen, bevor ich mich wieder um Stan Bedford und den MI6 kümmern wollte. Denn bei meinen Recherchen rund um den Mord an meiner Familie durfte ich mir keine Fehler erlauben, und meine Neugierde wegen Liz war so groß, dass mich ihre Geschichte womöglich ablenken könnte.

Also kümmerte ich mich erst mal um meinen neuen Auftrag. Brad Davies war nicht sein richtiger Name, aber aus Sicherheitsgründen nenne ich ihn so. Jedenfalls war er meinen Auftraggebern lästig geworden war. Ein junger Hacker, der ganz oben auf der Welle der Internetkriminalität surfte. Er hatte Luxusgüter über diverse Onlinekonten des Botti-Kartells geordert, für das ich überwiegend tätig war, und das in so dreister und ausufernder Weise, wie heute vermutlich kein Hacker mehr vorgehen würde. Es war offensichtlich, dass Davies sich absolut sicher fühlte. Da er ausschließlich im Internet sein Unwesen trieb, war er für meine Auftraggeber praktisch unsichtbar. Also kam ich zum Einsatz.

Man hatte kaum Informationen für mich. Es gab nicht mehr als den Namen und die Liste der Waren, die er über die gehackten Konten gekauft hatte. Ich konnte davon ausgehen, dass sein Name falsch war, jedenfalls kam ich über die klassische Recherche nicht weiter. Deshalb arbeitete ich die Liste der Luxusgüter ab, die er sich auf Kosten meiner Auftraggeber bestellt hatte. Natürlich hatte er sich die Sachen nicht nach Hause schicken lassen, ganz so doof war dieser Davies dann doch nicht. Vielmehr hatte er zwei verschiedene Paketstationen als Lieferadresse angegeben. Beide lagen in Balham, einem Ortsteil südlich der Themse, der sich in den vergangenen Jahren vom Problembezirk zu einer gutbürgerlichen Gegend gemausert hatte.

Paketstationen sind in der Regel in einem anderen Shop untergebracht. Mehr als eine Nummer braucht man nicht, um seine Lieferungen abzuholen, und diese Nummer war auf den Kontoauszügen vermerkt.

Ich suchte mir den auffälligsten Gegenstand von Davies’ Einkaufsliste heraus und machte mich auf den Weg zu den Shops. Der erste war seit einigen Monaten geschlossen, im zweiten erwartete mich ein übergewichtiger Kerl mit verpickeltem Gesicht und starkem schottischen Akzent.

»Ich hab vor einigen Monaten ein paar alte handsignierte Platten von Iggy Pop hier abgeholt.«

»Und?«, fragte der Typ gelangweilt, ohne mich auch nur anzublicken.

»Jetzt muss ich den Händler kontaktieren und hab seine Adresse nicht mehr. Kann sie auch im Netz nirgendwo finden. Habt ihr die zufällig gespeichert?«

Der Kerl schaute kurz von seinem Computer auf und musterte mich. »Was ist denn mit den Platten?« Dann starrte er wieder auf seinen Bildschirm.

»Die sind total verkratzt.«

»Und das fällt dir jetzt erst auf?«

»Ja.«

Der Kerl schüttelte den Kopf. »Wie blöd. Wenn das Ganze zu lange zurückliegt, hast du doch gar kein Rückgaberecht mehr.«

»Deshalb will ich ja auch mit dem Händler sprechen. Kannst du mal im Computer nachschauen?«

Er nickte. »Hm. Ich kann es versuchen. Unter welchen Namen bist du registriert?«

»Unter gar keinem. Meine Paketnummer ist die 319875.«

»Ich schau mal nach.« Er tippte auf seine Tastatur und überflog dann den Bildschirm. »319875 … hm … ah, hier. Bist du der mit der Waschmaschine? Ich hab dich ganz anders in Erinnerung.«

»Wieso?«

»Na, ich war dabei, als wir das kaputte Ding bei dir abgeholt haben, und da hast du irgendwie anders ausgesehen. Nicht so … südländisch.«

»Bist du sicher, dass ihr bei mir wart? Welche Straße hast du denn gespeichert?«

Zwanzig Minuten später stand ich in der Brendwood Street und klingelte an der Tür eines kleinen Reihenhäuschens mit der Nummer 12a.

Ein blasser ungepflegter Kerl in den Zwanzigern öffnete mir die Tür. Als er mich sah, schlug er reflexartig die Wohnungstür zu. Doch meine Faust war schneller. Ein gezielter Schlag gegen die Brust beförderte ihn zu Boden. Da lag er also benommen auf den hässlichen Fliesen seiner muffigen Diele, während ich die Wohnungstür von innen absperrte und mich schnell umsah. Wohnte er allein? Gab es Zeugen? Nein, die Luft schien rein zu sein.

»Was wollen Sie?« Stöhnend rieb er sich die Brust und versuchte sich aufzurappeln.

Doch bevor ihm das gelang, hatte ich ihm bereits den Kabelbinder um den Hals gelegt. Davies wehrte sich verzweifelt, hatte aber keine Chance gegen mich.

»Ich habe doch nichts Schlimmes gemacht!«, jammerte er. »Ich habe niemandem was getan!«

»Du hast über 50.000 Pfund geklaut. Glaubst du ernsthaft, so was bleibt ohne Konsequenzen?«

Ich zog den Kabelbinder fester und wollte es gerade beenden, als er mir ein interessantes Angebot machte.

»Bitte, Mann, bitte, hör mir zu!«, ächzte er.

Der Kabelbinder ließ ihm wenig Luft zum Atmen, ich brauchte nur noch einmal daran zu ziehen, und es gäbe keine Rettung mehr für ihn. Der gestraffte Plastikriemen zerstört in der Regel den Kehlkopf oder löst andere tödliche Verletzungen aus.

»Ich kann was für dich tun, Mann. Ich bin mir sicher, dass ich was für dich tun kann.«

Ich kannte dieses Gejammer nur zu gut. Ich hatte es oft genug erlebt, dass mir meine Opfer das Blaue vom Himmel versprachen, in der Hoffnung, so am Leben zu bleiben. Frauen hatten mir ihren Körper angeboten, Männer Geld oder Wertsachen. Geholfen haben solche Versprechungen nie. Bisher sind sie alle gestorben. Doch als ich den Kabelbinder gerade mit einem festen Ruck zuziehen wollte, sagte er etwas, das mich innehalten ließ.

»Ich bin der beste Hacker in ganz England, Mann … Ich kann alles für dich tun, ich kann dir jedes Konto knacken, ich kann mich in den Computer deiner Exfreundin loggen … Wenn du willst, hack ich mich in den Scheiß-Buckingham-Palast! Bitte, Mann, ich tu alles, echt. Ich bin nützlich für dich, bitte, überleg es dir noch mal …«

Ihn am Leben zu lassen, war vollkommen unprofessionell. Es würde meinem Ruf schaden. Andererseits wurde mir schlagartig klar, wie nützlich dieser Mann war. Ich hatte keine Ahnung, wie ich an die Daten vom MI6 kommen sollte, die ich brauchte, um meine Liste abzuarbeiten. Natürlich konnte ich einen Computer bedienen und über die British Library auch an ein gewisses Maß an Informationen kommen, aber bevor ich das tat, brauchte ich erst mal eine Basis, sprich: die Namen der Täter, die an der Ermordung meiner Familie beteiligt waren. Wenn ich die hatte, konnte ich weiterrecherchieren. Und Brad Davies war in der Lage, mir diese Namen zu beschaffen.

»Es gibt Leute, die wollen dich tot sehen.«

Das war in der Tat ein Problem. Für meine...