Killer Blog - Folge 2 - Der erste Auftrag

von: Christine Drews

Verlagsgruppe Lübbe GmbH & Co. KG, 2015

ISBN: 9783732510115 , 100 Seiten

Format: ePUB

Kopierschutz: frei

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Preis: 2,49 EUR

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Killer Blog - Folge 2 - Der erste Auftrag


 

Rockall, 27. September, 7:00 p.m.


Heute Nachmittag beim Hofgang konnte ich kurz mit Sandro Gomez sprechen, dem Chirurgen, der meine entzündete Hand versorgt hat. Auch wenn er einer der schlimmsten Mädchenmörder der Geschichte ist, gehört er doch zu den wenigen hier, die über einen Funken Verstand verfügen. Viel Zeit hatten wir nicht, nur einen kurzen unbeobachteten Moment, als das Rondell, an dem wir beim Hofgang festgekettet sind, für einen Augenblick hakte. Ich wollte von Gomez wissen, ob er es für möglich halte, dass die Wärter von Außenstehenden manipuliert und bestochen würden.

Mit wässrigen Augen sah er mich an, und das Böse in seinem Blick war selbst über die zwei Meter Entfernung, die uns trennten, nicht zu übersehen.

»Von Rockall wissen nur wenige Leute«, sagte er ernst. »Aber die, die davon wissen, können alles machen. Glaub mir.«

»Woher weißt du das?«

»Immer wenn eines meiner Mädchen Geburtstag hat, bekomme ich kein Essen, weder morgens noch mittags noch abends. Bei hundertacht Mädchen macht sich das ganz schön bemerkbar. Dauernd muss ich einen Fastentag einlegen. Woher wissen die Wärter wohl von den Geburtstagen?«

Das Rondell drehte sich weiter, alle Wärter waren wieder auf ihrem Posten, und unser Gespräch war beendet.

Irgendjemandem ist es also ein Anliegen, dass Gomez, der Mädchenschlächter, regelmäßig an seine Taten erinnert wird. Gibt es auch jemanden, der die Wärter auf mich angesetzt hat? Und ist dieser Jemand womöglich Nick? Gomez ist der Nahrungsentzug an den Geburtstagen seiner Opfer vermutlich nicht sofort als organisierte Schikane aufgefallen, auch er wird eine Zeit gebraucht haben, bis ihm der Zusammenhang auffiel. Ab heute werde ich die Gehässigkeiten gegen mich genauer beobachten. Und im Beobachten bin ich gut, sehr gut sogar.

Auch bei den Vorbereitungen für meinen ersten Auftragsmord stützte ich mich auf meine Beobachtungsgabe. Man kann es sich heute kaum vorstellen, wie es früher war, ohne Google Maps, ja sogar ohne Internet. Natürlich habe ich später alle Ausspähdienste genutzt, die es im Netz gibt. Mit Google Street View spart man bei der Recherche verdammt viel Zeit. Aber damals war ich einzig und allein auf meine eigenen Augen angewiesen.

All das, was ich an dem Nachmittag vor Ferrellis Haus zu Fuß und mit großem zeitlichen Aufwand herausfand, könnte ich heute in einer Stunde mit wenigen Klicks vor dem Monitor erledigen: Wo ist der Hauseingang? Ist er vom Garten oder von der Straße aus einsehbar? Gibt es einen Hinterausgang, Kameras, eine Alarmanlage? Damals musste ich jedoch mehrmals meine Runden um das Haus drehen und mir alles so genau wie möglich einprägen, immer darauf bedacht, niemandem aufzufallen.

So wie auch an dem Tag, an dem ich den Mord an Ferrelli geplant hatte. Ein Mann in einer grünen Latzhose hatte gerade den Garten betreten und damit begonnen, den Rasen zu mähen, während eine Frau die Terrasse fegte. Beide sahen aus wie Angestellte – jedenfalls waren es nicht Franco und Mia Ferrelli. Es war jetzt drei Uhr am Nachmittag, lange würde es nicht mehr hell sein. Da Personal im Haus war, dürfte es bei Tageslicht schwierig sein, in das Anwesen einzudringen und Ferrelli aufzulauern. Also nicht wirklich schwierig. Aber es würde wohl zwei weitere Opfer erfordern. Und da ich für die kein Geld bekam, sah ich auch keinen Sinn darin sie umzubringen.

Es war also besser, bis zum Einbruch der Dämmerung zu warten. Allerdings hatte ich nicht in Erfahrung bringen können, ob Ferrelli allein in dem Haus wohnte. Aus den Informationen von Nazi-Nick ging nur hervor, dass er von seiner Frau getrennt lebte und die Kinder längst erwachsen waren. Ob er aber eine Freundin hatte, die womöglich in dem Haus ein und aus ging, oder ob seine Kinder oder sonst wer zu Besuch waren, wusste ich nicht.

Schräg gegenüber vom Haus, auf der anderen Straßenseite, lag ein kleiner Park. Ich hatte mich auf eine Bank gesetzt und die Zeitung aufgeschlagen, die ich mir zuvor gekauft hatte. Warum wohl sitzen in so vielen Filmen die Gangster oder Spione mit einer Zeitung herum? Weil es sich bewährt hat. Eine Zeitung ist unauffällig, und man kann sich gut dahinter verstecken und über sie hinwegschauen, ohne dass es jemand bemerkt – nein, wirklich, eine Zeitung im Gepäck kann ich nur empfehlen.

Ich saß also auf der Bank, tat so, als würde ich Zeitung lesen, und versuchte die Informationen zu ordnen, die ich gesammelt hatte. In jedem Fall würde ich klingeln müssen, da es wenig sinnvoll war, über das zwei Meter hohe Tor zu klettern und sich auf Anhieb als kriminelles Subjekt zu erkennen zu geben. Die Frage war nur: Was würde ich danach tun?

Ich weiß nicht, wie lange ich dasaß und nachdachte. Doch irgendwann entschloss ich mich zu etwas, das sich bei all meinen nachfolgenden Taten noch bewähren würde: Ich hörte auf meine Instinkte und ging in die Offensive.

Ich stand auf, lief auf die Einfahrt zu und klingelte. Ich sah, wie die junge Frau auf der Terrasse ihren Besen zur Seite stellte und ins Haus ging. Wenig später hörte ich eine weibliche Stimme durch die Gegensprechanlage. »Ja bitte?«

»Mein Name ist Peter York«, sagte ich. »Ich bin der Sohn eines Freundes von Mrs. Ferrelli und muss dringend mit ihrem Mann sprechen.«

»In welcher Angelegenheit möchten Sie ihn sprechen?«

Aha. Offenbar war Ferrelli zu Hause.

»Das kann ich Ihnen leider nicht sagen. Es geht um eine private Angelegenheit.«

Ich hörte, wie sie zögerte. »Wie war noch mal Ihr Name?«

»York, Peter York. Mein Vater und ich haben uns früher um Mrs. Ferrellis Angelegenheiten gekümmert.«

Ich sprach das Wort so aus, dass ihr klar sein musste, um welche Art von Angelegenheiten es sich hierbei handelte – jedenfalls nichts, was zwischen Tür und Angel besprochen werden konnte.

Wenige Augenblicke später summte der Toröffner.

Ich musste mich auf Ferrellis Nochehefrau konzentrieren und darauf setzen, dass er zu ihr keinen Kontakt hatte und meine Lügen nicht sofort durchschauen würde. Meine Hände waren zwar etwas feucht, aber wirklich nervös war ich nicht. Ich vertraute meinen Instinkten.

Schließlich stand ich vor der Haustür und blickte in das schiefe Gesicht der jungen Angestellten. Irgendwie wirkte alles an der Frau krumm. Die Nase war viel zu groß, die strähnigen Haare zu einem Dutt gebunden. Ein krasser Gegensatz zu ihrem asymmetrischen Gesicht war ihre Figur. Nicht, dass sie mich sonderlich interessiert hätten, aber ihre riesigen Brüste zogen meine Blicke wie Magnete auf sich.

»Mr. Ferrelli erwartet Sie in seinem Arbeitszimmer. Folgen Sie mir bitte«, sagte sie, ohne sich mit einer Begrüßung aufzuhalten.

»Danke«, antwortete ich artig und nickte ihr freundlich zu.

Langsam folgte ich ihr durch eine sehr dunkle Eingangshalle, deren Wände aussahen, als wären sie mit schwarzen Seidentapeten bezogen. An der Decke hing ein riesiger Kronleuchter, der aber nicht eingeschaltet war. Altertümlich anmutende Bilder hingen an den Wänden, die irgendwelche Leute aus verschiedenen Epochen zeigten. Zwar besitze ich nicht den geringsten Kunstverstand, aber selbst mir fiel auf, dass es billige Kopien sein mussten. Die Porträts waren nicht auf Leinwand gemalt, sondern schienen gedruckt worden zu sein, und die opulenten Goldrahmen passten nicht zu den schlechten Repliken. Typisch neureich.

Die schiefe Hausangestellte brachte mich in das Arbeitszimmer, in dem Ferrelli hinter einem dicken Schreibtisch mit goldenen Löwenfüßen saß, und zog die Tür hinter mir zu.

Im Gegensatz zu der dunklen Eingangshalle war hier alles wahnsinnig hell. Die Wände blendeten fast, so weiß waren sie. Einen kurzen Moment lang ging mir durch den Kopf, dass sich ein paar ordentliche Blutspritzer darauf wirklich gut machen würden.

Franco Ferrelli sah aus wie auf dem Foto, das Nazi-Nick mir gegeben hatte. Er trug sogar denselben Anzug. Seine Glatze glänzte wie mit Fett eingerieben. Er musterte mich von oben bis unten und schien zu überlegen, wer ich sein könnte.

»Ich kenne keinen Peter York«, sagte er anstelle einer Begrüßung.

»Ich habe früher für Ihre Frau gearbeitet.«

»Früher?«, unterbrach er mich und lachte. »Wie alt sind Sie, zwanzig? Wann früher soll das gewesen sein?«

»Vor zwei Jahren.«

Erstaunt zog Ferrelli die Augenbrauen hoch. »Da begann das ganze Theater«, seufzte er, stand auf und ging zum Schrank, öffnete eine verspiegelte Tür und schenkte sich ein Glas mit einer braunen Flüssigkeit ein, die in einer Kristallkaraffe im Barfach stand.

Ich sah ihm schweigend zu. Ferrelli wirkte aufgebracht.

»Merda! Diese elende Nutte. Versäuft und verzockt unser halbes Vermögen, und den Rest haut sie beim Shoppen auf den Kopf!« Er seufzte erneut und nahm einen großen Schluck aus seinem Glas. »Scusi. Also, Sie haben für meine geldgeile Frau gearbeitet. Ich nehme an, die Schlampe ist pleite und konnte Sie nicht mehr bezahlen? Und jetzt wollen Sie die Kohle von mir, richtig?«

Ich schüttelte den Kopf. »Es geht nicht ums Geld«, sagte ich.

»Sondern?«

»Es geht um etwas, das Ihre Frau gemacht hat und das ich Ihnen gern zeigen möchte.«

Ferrelli wurde blass. »Soll das heißen, sie hat …?«

Ich legte den Zeigefinger auf meine Lippen und bedeutete ihm nicht weiterzusprechen.

»Mr. Ferrelli, ich bin hier, um es in Ordnung zu bringen«, sagte ich ernst. »Sie fragen sich vermutlich, was so ein junger Kerl wie ich schon ausrichten kann. Aber ich kenne Ihre Frau besser, als Sie es sich vorstellen können, und ich weiß, wie man das Problem lösen kann. Dafür...